Das Klärwerk Köhlbrandhöft vor der Kulisse des Hamburger Hafens. © picture alliance/dpa | Marcus Brandt
Das Klärwerk Köhlbrandhöft vor der Kulisse des Hamburger Hafens. © picture alliance/dpa | Marcus Brandt
Das Klärwerk Köhlbrandhöft vor der Kulisse des Hamburger Hafens. © picture alliance/dpa | Marcus Brandt
AUDIO: Abwassermonitoring zur Corona-Lage (5 Min)

Frühwarnsystem für Keime: Datenschatz im Abwasser wird gehoben

Stand: 03.05.2023 13:58 Uhr

Das Bundesministerium für Gesundheit baut ein Frühwarnsystem für ganz Deutschland auf, das Coronaviren, aber auch Influenza-Erreger und andere Keime im Abwasser überwachen soll. Hamburg beteiligt sich mit dem Klärwerk Köhlbrandhöft an dem Großprojekt.

von Jenny Witt

Das bundesweite Abwasser-System soll aktuelle Daten zur Corona-Lage liefern, gerade wenn sich Menschen weniger testen. Im Abwasser kann das Erbgut des Coronavirus schneller entdeckt werden als mit anderen Testmethoden, denn infizierte Personen scheiden es schon Tage vor dem Auftreten von Symptomen aus, falls sie überhaupt welche entwickeln.

Daher rollt das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) nun ein dauerhaftes Abwasser-Überwachungsnetz für ganz Deutschland aus. Bis Ende 2024 soll es fertiggestellt sein. So können die einzelnen Bundesländer sich ein genaueres Bild davon machen, ob die Virenlast örtlich ansteigt oder abnimmt oder sogar eine größere neue Infektionswelle anrollt und entsprechende Maßnahmen ergreifen. Insgesamt 175 Klärwerke sind in das Projekt AMELAG eingebunden, das mit 32 Millionen Euro vom BMG finanziert wird. 

Pilotprojekt mit Hamburg, Grömitz, Rostock, Bremen und Bramsche

Zwar läuft dieses Großprojekt gerade erst an, aber eine Testversion hat schon im vergangenen Jahr wertvolle Erkenntnisse geliefert. An 20 Standorten - darunter Hamburg, Grömitz, Rostock, Bremen und Bramsche in Norddeutschland - begann das ESI-CorA-Pilotprojekt im Februar 2022. Es sollte feststellen, ob das Abwasser wirklich dazu taugt, Aussagen oder sogar Vorhersagen für die Corona-Inzidenz in der Bevölkerung zu treffen. Auch Abläufe und die Kommunikation zwischen den Klärwerken, Laboren, Ämtern und Behörden wurden erprobt. 

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Ausguss mit fließendem Wasser © fotolia Foto: blina

Abwasser-Monitoring auf SARS-CoV-2

Informationen zur Abwassersurveillance von Umweltbundesamt (UBA) und Robert Koch-Institut (RKI) gemeinsam mit den 16 Bundesländern und Universitäten. extern

Corona-Daten zeigen: Abwassermonitoring funktioniert

In Hamburg analysiert das Institut für Hygiene und Umwelt (HU) seit Projektbeginn an zwei Wochentagen Abwasserproben, die Hamburg Wasser aus dem Zulauf der Kläranlage Köhlbrandhöft entnimmt. Im Labor werden die Begleitstoffe aus der trüben Flüssigkeit herausgetrennt und das Abwasser filtriert. In mehreren Schritten lassen sich die Erbinformationen des Coronavirus isolieren und stark konzentrieren. Am Ende werden die aufbereiteten Proben mit einem digitalen PCR-Test auf ihre Viruslast untersucht.

Schon früh in der Pilotphase wurde klar: Das Abwassermonitoring funktioniert und seine Werte entsprechen den Trends, die mit anderen Methoden aufgezeichnet werden. "Es hat Parallelen gegeben zu damaligen Inzidenzmessungen, die darauf schließen lassen, dass man damit weitermachen sollte", erklärt David Kappenberg von der Hamburger Umweltbehörde, die das Pilotprojekt koordinierte. "Das Abwasser ist tatsächlich ein richtiger Informationsschatz."

Frühwarnsystem für zukünftige Corona-Wellen

Eine Mitarbeiterin arbeitet an einer Sicherheitswerkbank in einem Labor im Institut für Hygiene und Gesundheit. © picture alliance/dpa Foto: Daniel Reinhardt
Eine Mitarbeiterin des Hamburger Instituts für Hygiene und Umwelt untersucht Wasserproben.

Das Abwassermonitoring liefert nicht nur belastbare Daten zum Infektionsgeschehen - es kann zudem ein sehr effektives Frühwarnsystem werden. Ein Anstieg der Virusfragmente sei schon Tage vor der Zunahme der bestätigten Fälle messbar, so das BMG. "Das gezielte Abwassermonitoring bietet die Chance, frühzeitig Infektionswellen zu erkennen. Dieses Frühwarnsystem ist wesentlicher Bestandteil des Pandemieradars", sagte BMG-Staatssekretärin Antje Draheim bei ihrem Besuch der Hamburger Kläranlage im Februar dieses Jahres.

Die Europäische Kommission hat die Mitgliedsstaaten dazu aufgerufen, Strukturen für die langfristige Überwachung des Abwassers aufzubauen. Gemeinsam mit dem Robert Koch-Institut (RKI) und dem Umweltbundesamt setzt das Gesundheitsministerium dies im AMELAG-Projekt um. Sowohl die Trends als auch die Virusvarianten werden bundesweit überwacht. An der Technischen Universität Darmstadt sollen Stichproben zur Sequenzierung des Viruserbguts analysiert werden.

In Norddeutschland werden laut BMG die Kläranlagen in Bramsche, Grömitz, Hamburg und Rostock weiter beprobt. Die endgültige Liste der Standorte hat das Ministerium jedoch noch nicht bekannt gegeben.

Überwachung anderer Erreger: Influenzaviren, antibiotikaresistente Keime

Zukünftig könnten auch weitere Erreger im Abwasser aufgespürt und beobachtet werden. Infrage kommen laut BMG zum Beispiel Influenzaviren oder antibiotikaresistente Keime. Schon jetzt läuft am RKI ein Pilotprojekt zur Untersuchung von Abwasser auf Polioviren. Allerdings: "Die Analyse unterscheidet sich methodisch von der SARS-CoV-2-Untersuchung und muss weitaus sensitiver sein, um möglichst bereits bei einem infizierten Ausscheider in einer Großstadt valide Ergebnisse zu liefern", sagt Kathrin Keeren von der Geschäftsstelle der Nationalen Polioeradikation am RKI.

Corona-Trends aus Abwasser ablesen: Vorreiter Niederlande

Fürs Erste fokussiert sich das AMELAG-Projekt auf das Coronavirus. Ein fortgeschrittenes Projekt existiert seit 2020 in den Niederlanden - dem ersten Land, das in der Corona-Pandemie aufs Abwassermonitoring setzte. Die aktuell erfassten Daten werden im niederländischen Pandemieradar als interaktive Landkarte dargestellt. Für jeden Bezirk zeigt sie dort die wöchentlichen Corona-Trends, mit genauen Zahlen für den Anstieg oder die Abnahme der Viruspartikel im Abwasser.

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Das Coronavirus © CDC on Unsplash Foto: CDC on Unsplash

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Dass die Abläufe im Abwassermonitoring in Hamburg ein Jahr lang aufgebaut werden konnten, sei ein großer Vorteil, sagt Sinje Lehmann, die Sprecherin des Instituts für Hygiene und Umwelt: "Es ist gut, in Ruhe zu üben, wenn die Infektionslage gerade nicht so gefährlich ist. Wenn dann ein neuer Erreger, eine neue Variante auftaucht, wissen alle, was sie zu tun haben."

Pepper Mild Mottle Virus als Vergleichsgröße

Auch die Analysemethoden mussten sich in den Messungen bewähren. Um zum Beispiel den Verdünnungseffekt von starkem Regen zu berechnen, nutzte das Institut ein Vergleichsvirus, das ebenfalls von Menschen ausgeschieden wird. Das Pepper Mild Mottle Virus, ein für den Menschen ungefährliches Pflanzenpathogen, diente als Messlatte im Abwasser. "Wenn man sieht, dass die Konzentration dieses Virus in den Proben geringer ist, dann muss auch die des SARS-Virus geringer sein, weil es ja ebenfalls mit den Ausscheidungen hineinkommt. So konnten wir es dann normen und aussagekräftige Informationen bekommen", erklärt Lehmann.

Die gesammelten Daten zur Viruslast im Abwasser werden über das Umweltbundesamt an das RKI weitergeleitet, das die Trends für die epidemiologische Lagebewertung berechnet. Zusätzlich zu den 175 Kläranlagen, die Teil des Projekts sein werden, beteiligen sich derzeit auch die Flughäfen Frankfurt/Main und Berlin.

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