Wenn das Antibiotikum nicht wirkt: Wie lassen sich Resistenzen verhindern?
Wenn Antibiotika nicht mehr wirken, dann stecken meist multiresistente Erreger dahinter. Mit dem globalen Problem beschäftigen sich auch Ärzte und Wissenschaftler aus Schleswig-Holstein. Denn auch hier wurden seit vergangenem Jahr 534 Infektionen mit multiresistenten Erregern erfasst, 48 davon endeten tödlich.
Erst kommt der Schüttelfrost und das Fieber, dann der Husten mit Atemnot. Schnell ist klar: Der Patient hat eine Lungenentzündung, braucht ein Antibiotikum. Doch weder das erste noch das zweite Präparat schlagen an, dem Patienten geht es immer schlechter. Solche und ähnliche Situationen erleben auch Ärzte in Schleswig-Holstein immer wieder. Dahinter steckt oftmals eine Antibiotikaresistenz.
Resistente Bakterien überleben und vermehren sich
"Antibiotikaresistenzen breiten sich immer mehr aus. Wir haben mittlerweile das Problem, dass einige Infektionserkrankungen kaum noch heilbar sind weil die Keime so resistent sind, dass die gängigen Antibiotika nicht mehr wirken", fasst Hinrich Schulenburg, Evolutionsökologe an der Christian-Albrechts-Universität (CAU) zu Kiel, zusammen. Und Dennis Nurjadi, Facharzt für Medizinische Mikrobiologie am Universitätsklinikum Schleswig-Holstein (UKSH) in Lübeck, betont: "Wenn man schon infiziert ist mit multiresistenten Erregern, werden die Behandlungsoptionen immer geringer, je nachdem um welche Art von Bakterien es sich handelt." Die Dynamik sei alarmierend. "Resistenzen entstehen, wenn Bakterien Mechanismen entwickeln, die sie unempfindlich gegenüber Antibiotika machen", erklärt Professor Nurjadi. Diese Bakterien überleben die Behandlung mit dem Antibiotikum und vermehren sich, während die anderen abgetötet werden.
Studie: Bis 2050 mehr als 39 Millionen Tote durch resistente Keime
Das Problem, dass viele Antibiotika nicht mehr wirken, besteht weltweit. Von 2025 bis 2050 könnten laut einer Studie der University of Washington, die jüngst im Fachmagazin "The Lancet" veröffentlicht wurde, mehr als 39 Millionen Menschen weltweit an antibiotikaresistenten Keimen sterben.
Multiresistenzen in SH vergleichsweise selten
Auch für Schleswig-Holstein gibt es Zahlen: 534 Infektionen mit multiresistenten Erregern hat das Institut für Medizinische Mikrobiologie seit 2023 bis jetzt erfasst, 48 Fälle davon endeten tödlich. Erfasst sind hierbei nur drei meldepflichtige multiresistente Erregergruppen. Und Prof. Helmut Fickenscher vom Institut für Medizinische Mikrobiologie betont, dass nicht bei allen Todesfällen nachweisbar ist, ob die multiresistenten Keime oder doch eine andere Ursache zum Tod der Menschen führte. Er und auch sein Kollege Nurjadi sprechen von eher niedrigen Fallzahlen in Schleswig-Holstein. Es gebe mehr Fälle von Antibiotikaresistenzen im Süden Deutschlands, so Nurjadi. Warum das so ist, das erforscht er gerade zusammen mit seinem Team.
Wissenswertes über Antibiotika
Lebensretter Antibiotika
Doch zur Wahrheit gehört auch: Antibiotika retten Leben. Viele bakterielle Infektionen, wie eine Blutvergiftung oder eine Lungenentzündung, für die es vor den 1940er Jahren keine Mittel gab, können erst behandelt werden, seitdem es Antibiotika gibt. Erst während des Zweiten Weltkrieges wurden die ersten Antibiotika, Streptomycin und Penicillin, massenweise eingesetzt. Auch die Studie der University of Washington prognostiziert, dass durch bessere Behandlung schwerer Infektionen und durch den besseren Zugang zu Antibiotika zwischen 2025 und 2050 weltweit 92 Millionen Todesfälle verhindert werden können. Zudem verhindert ein Antibiotikum, dass sich andere Menschen mit einer Infektion anstecken.
Wie kann man Resistenzen verhindern?
Ein Weg, Resistenzen vorzubeugen, ist die richtige Diagnose. Ärzte müssen also darauf achten, Antibiotika wirklich nur dann zu verschreiben, wenn sie notwendig sind, also bei bakteriellen Infektionen. Bei viralen Infektionen wie Grippe oder Corona können Antibiotika nichts ausrichten. "Es ist nach wie vor so, dass Antibiotika sehr häufig eingesetzt werden, wo es nicht unbedingt notwendig ist. Ein klassisches Beispiel ist, dass man Antibiotika bei einer Erkältung verschrieben bekommt. Die meisten Erkältungen werden aber nicht von Bakterien verursacht", erklärt Evolutionsökologe Schulenburg.
Auch in Schleswig-Holstein wird deshalb mit der Antibiotic Stewardship (ABS)-Initiative kontinuierlich medizinisches Personal im Umgang mit Antibiotika geschult. Grundsätzlich sollten Antibiotika eher zurückhaltend eingesetzt werden. Statt sogenannte Breitbandantibiotika zu verschreiben, die gegen viele Bakterienarten wirken, gehe der Trend eher zu punktuell wirkenden Antibiotika, sagt Professor Nurjadi vom UKSH. Zudem ist es für Patienten wichtig, dass sie das Medikament durchgängig einnehmen - und es nicht absetzen, wenn die Symptome abklingen. Denn dann ist die Gefahr, dass Bakterien Resistenzen entwickeln, besonders groß.
Können Bakteriophagen eine Lösung sein?
Besonders interessant findet Professor Nurjadi mögliche Alternativen zu Antibiotika. So könnten sogenannte Bakteriophagen Bakterien zerstören, gegen die kein Antibiotikum mehr wirkt. Phagen sind Viren, die jeweils auf ein bestimmtes Bakterium spezialisiert sind.
Spezialisten suchen nach Lösungen in Plön
Nach Strategien, wie man Antibiotikaresistenzen verhindern kann, suchen derzeit auch Evolutionsbiologen, Ärzte, Mathematiker und Veterinärmediziner in einem Workshop am Max-Planck Institut in Plön. Auch Hinrich Schulenburg von der CAU ist dabei. "Wir versuchen, eine neue Strategie in den Fokus zu rücken", verrät er. Die Evolution spiele dabei ein wichtige Rolle. "Wenn ein Organismus in eine Eigenschaft investiert, hat er eventuell weniger Ressourcen für eine andere Eigenschaft", erklärt er. "Das heißt: Wenn Resistenzen ausgebildet werden, haben die Krankheitskeime häufig woanders Schwächen. Diese Schwächen wollen wir identifizieren."
All das sind Ansätze für Lösungen. Lösungen, um Multiresistenzen zu vermindern - in Schleswig-Holstein und weltweit.