Männerlastiger Bundestag - was Frauen darüber denken
Weniger als ein Drittel der Mitglieder des neuen Bundestags sind Frauen. Woran liegt das? Vier starke Frauen aus dem Norden schildern, warum Politik kein frauenfreundliches Revier ist und weshalb mehr weibliche Stimmen gehört werden müssen.
Das Foto, das Markus Söder zwei Tage nach der Bundestagswahl von einem Spitzentreffen der Union in den sozialen Medien postete, hat wohl eine etwas andere Wirkung erzielt als vom CSU-Chef beabsichtigt. Das Bild zeigt ein Besprechungszimmer im Konrad-Adenauer-Haus in Berlin mit den Unions-Granden Friedrich Merz, Carsten Linnemann, Thorsten Frei, Martin Huber, Alexander Dobrindt und Söder an einem gedeckten Tisch. "Wir sind bereit für einen Politikwechsel in Deutschland", hatte Söder dazu geschrieben.
Der Post mit der Männerrunde ging viral, erntete Empörung und Spott über mangelnde Vielfalt in der Union. "Habt ihr die Frauen unter dem Tisch versteckt?", fragte ein User. Die Satireseite "Postillon" schrieb: "Union wehrt sich gegen Kritik, dass keine Frauen am Meeting teilnehmen: 'Was glauben Sie denn, wer den Tisch gedeckt hat?'" Und Grünen-Chefin Franziska Brantner merkte sarkastisch an: "Die neue syrische Regierung wird wahrscheinlich vielfältiger als das Verhandlungsteam der Union."
Sondierungsgespräche: Zwei Unions-Frauen und vier SPD-Politikerinnen am Tisch
Als Reaktion darauf erstellte die CDU noch vor Beginn der Sondierungsgespräche eine Bild-Collage mit ihren 36 Frauen, die im neuen Bundestag vertreten sind, und veröffentlichte sie auf der Website der Frauenunion. Für die Sondierungsgespräche holte die Union dann neben sieben Männern immerhin die stellvertretende CDU-Vorsitzende Karin Prien aus Schleswig-Holstein und die CSU-Politikerin Dorothee Bär ins Boot. Die SPD sitzt mit vier Frauen und fünf Männern am Verhandlungstisch.
Gitta Connemann (CDU): In der Spitze noch nie so weiblich
Die CDU-Bundestagsabgeordnete Gitta Connemann - eine Merz-Vertraute - hat die Aufregung um das von Söder gepostete Foto nicht verstanden: Es sei ein Arbeitsfoto einer Runde von Partei- und Fraktionsvorsitzenden gewesen und es gehe schließlich um Inhalte, nicht um schöne Bilder.
Die 60-Jährige kommt aus Ostfriesland. Sie ist die Bundesvorsitzende der Mittelstands- und Wirtschaftsunion. "Die CDU ist weitaus weiblicher, nur nicht auf diesem Foto", sagt sie und verweist auf die unter Merz eingeführte Frauenquote für Listenplätze in ihrer Partei. Und: "Friedrich Merz hat zwei Stellvertreterinnen, eine Schatzmeisterin, eine stellvertretende Generalsekretärin. Die CDU war in der Spitze noch nie so weiblich wie heute." Immer schon habe ihre Partei Frauen Chancen gegeben, die sie woanders nicht bekamen: "Unsere Partei stellte die erste Kanzlerin der Bundesrepublik, die erste Verteidigungsministerin, aktuell die Präsidentin der Europäischen Kommission."
Mit Blick auf die im Bundestag unterrepräsentierten Frauen verweist Connemann auf das reformierte Wahlrecht und dessen Auswirkungen auf die CDU: "Direkt gewählte Kandidatinnen und Kandidaten ziehen nicht in den Deutschen Bundestag ein, davon betroffen sind bei uns 18 Kandidatinnen und Kandidaten, übrigens auch ein hoher Anteil an Frauen."
Frauenanteil im Bundestag sinkt
Fakt ist, dass der Anteil der Frauen im gesamten Bundestag nach der jüngsten Wahl wieder gesunken ist. Unter den 630 Abgeordneten sind nur 204 Frauen. Ihr Anteil liegt bei 32,4 Prozent und ist damit geringer als nach der Wahl 2021 (35,7). Das liegt vor allem an den besseren Wahlergebnissen von Union und AfD, die besonders wenige Frauen ins Parlament entsenden. Am höchsten ist der Anteil weiblicher Abgeordneter bei Bündnis 90/Die Grünen und bei der Linkspartei.
Wahlverhalten: Auch viele Frauen wählten Union und AfD
Grüne und Linke schauen deshalb auch besonders kritisch auf den niedrigen Frauenanteil der Parteien, die bei der Bundestagswahl die meisten Stimmen bekommen haben - auch von Frauen. So stimmten 27 Prozent der Wählerinnen für die Union, 18 Prozent für die AfD. Der Unterschied zum Wahlverhalten bei den Männern: Von denen bekamen Union (30 Prozent) und AfD (24 Prozent) noch mehr Stimmen. 15 Prozent der Männer wählten die SPD, bei den Frauen waren es 18 Prozent.
Brigitte Schüler (Grüne): "Wir wachsen in eine doofe, männerdominierte Politik rein"
An der Basis sind Frauen mehrerer Parteien in Sorge, dass sich der geringere Frauenanteil im Bundestag auf die Gesellschaft auswirken und Deutschland bei seinem Frauenbild eine Rolle rückwärts machen könnte. So sagt Brigitte Schüler aus Hamburg, dass sie der Zukunft sehr skeptisch entgegensehe - wegen der Situation für die Frauen, aber auch wegen der gesamten politischen Entwicklung.
Schüler ist 77 Jahre alt und vor vier Monaten in die Partei Bündnis 90/Die Grünen eingetreten. Zum ersten Mal überhaupt engagiert sie sich in einer Partei, weil sie Angst hat vor dem Erstarken der AfD und etwas dagegen tun wollte. "Ich finde, dass wir mit den hohen Stimmanteilen für die AfD und CDU in eine ganz doofe, männerdominierte Politik hineinwachsen", sagt sie. "Das repräsentiert für mich eine vergangene politische Szenerie. Das hat man früher immer erlebt, dass die Männer so dominant waren. Ich fand die neuen Frauenanteile im letzten Parlament sehr begrüßenswert und dass die Frauen dort eine sehr ernsthafte Stimme vertreten haben."
Laura Schüttpelz (Linke): Männer vergessen Frauenthemen
Laura Schüttpelz ist 48 Jahre jünger als Brigitte Schüler. Aber auch sie hatte das Gefühl, dass sie sich jetzt positionieren muss. Am 31. Januar dieses Jahres ist die Hamburgerin in die Linkspartei eingetreten - zwei Tage nachdem die Union im Bundestag die Verabschiedung eines Antrags zur Migrationspolitik mithilfe der AfD in Kauf genommen hatte. "Ich hatte es schon länger vor, aber gerade nach der Sache mit Friedrich Merz hatte ich das Gefühl: Spätestens jetzt muss man sich engagieren und irgendetwas gegen diesen Rechtsruck machen", sagt die 29-Jährige.

Der CDU wirft sie vor, dass alte Männer Politik machten, die keinen Bezug mehr zu dem hätten, was den Menschen wichtig ist, welche Werte für Frauen bedeutsam sind. "Ich glaube, das meinen sie gar nicht böse, aber Männer vergessen oft Themen, die nur Frauen angehen, deshalb ist es wichtig, dass wir da auch unsere eigenen Stimmen einbringen, sagt Schüttpelz. "Wir sind 50 Prozent aller Menschen, also sollten wir auch zu 50 Prozent in der Politik vertreten sein."
Antonia Niecke (CDU): Frauen müssen sich sichtbarer machen
Das sieht Antonia Niecke im Prinzip genauso. Mit 16 ist die heute 33-Jährige in die CDU eingetreten, von 2019 bis 2022 war sie Landesvorsitzende der Jungen Union in Hamburg. Im Straßenwahlkampf vor der Bürgerschaftswahl hat sie auch von Menschen, die die CDU nicht wählen, Komplimente für ihr politisches Engagement bekommen. "Mehr Frauen sind immer willkommen, vor allem weil wir auch die Hälfte der Weltbevölkerung stellen", sagt Niecke. "In der CDU haben wir sehr viele große, erfolgreiche und tolle Frauen. Vielleicht müssen wir uns nur ein bisschen sichtbarer machen."

Niecke verweist auf das Wahlergebnis von CSU-Politikerin Dorothee Bär, die mit 50,5 Prozent in ihrem Wahlkreis die meisten Erststimmen bei der Bundestagswahl abräumte. Einen kleinen Seitenhieb auf das Foto von der Männerrunde im Konrad-Adenauer-Haus kann sie sich aber dann doch nicht verkneifen: "Vielleicht machen wir Frauen lieber die Arbeit als für Fotos zu posen, das mag sein. Aber wir sind da" sagt sie und appelliert an andere Frauen: "Wir müssten insgesamt ein bisschen mutiger sein. Wir müssen allen sagen: Geh raus, zeig dich - nicht so schüchtern sein!"
Niecke weiß, dass es viele Frauen gibt, die kein Problem mit mangelndem Selbstbewusstsein haben, häufig aber an Hürden im Alltag scheitern - spätestens, wenn sie sich dafür entscheiden, eine Familie zu gründen. "Familienfreundlich ist Parteiarbeit, egal in welcher Partei, wirklich gar nicht", sagt die CDU-Politikerin. "Da brauchen wir Wege: Sitzungen, die nicht nur am Wochenende stattfinden, Elternzeit für Politikerinnen oder Gründerinnen - da wird nicht ganzheitlich gedacht. Die Parteipolitik muss insgesamt attraktiver werden, nicht nur von der Union."
Connemann: Frauen in der Politik werden massiv angegriffen
Gitta Connemann findet, dass sich die Geschlechter-Parität in der Bevölkerung in allen Parlamenten widerspiegeln müsste - nicht nur im Bundestag. "Wir haben in Niedersachsen bis auf wenige Ausnahmen nur männliche Landräte, männliche Oberbürgermeister. Wir haben verschwindend kleine Anteile in Kreistagen, in Stadträten, in Gemeinderäten", sagt sie. Sie sitzt auch im Kreistag im ostfriesischen Leer: "Es ist erschütternd zu sehen, wie klein der Frauenanteil in Gänze ist, nicht nur bei der CDU."
Die CDU-Frau weiß auch, warum das so ist: Der Job ist beinhart und nicht frauenfreundlich. "Das betrifft Sitzungstermine, aber auch eine starke Öffentlichkeit, die nicht immer freundlich ist. Frauen in der Politik, egal in welcher Fraktion oder Partei sie sind, werden häufig massiv angegriffen. Die Beleidigungen und Verleumdungen muss man ertragen können. Das ist ein hoher Preis."
Sie verstehe Frauen, die nicht bereit sind, sich das anzutun, sagt Connemann, aber sie unterstütze und fördere Frauen, die sich einbringen wollen nach Kräften. Anhängerin einer Frauenquote sei sie jedoch nicht, denn: "Wir haben extrem starke Frauen in diesem Land. Wer auf Qualität setzt, nicht auf Quote, der kommt an Frauen nicht vorbei."
Schlagwörter zu diesem Artikel
Bundestagswahl
