"Schaffen wir das?": Herausfordernde Wohnungssuche für Geflüchtete

Stand: 12.09.2024 06:18 Uhr

Geflüchtete wohnen in Hamburg oft sehr lange in Gemeinschaftsunterkünften, da es auf dem Mietmarkt kaum günstige Wohnungen gibt. Weil private Vermieter zudem zögerlich sind, baut die Stadt selbst Wohnraum - wie wir im dritten Teil unserer Wochenserie "Schaffen wir das?" zeigen.

von Melanie Buth und Daniel Sprenger

Jonathan Real und Yasiri Corea sind vor dem autoritären Regime in Nicaragua geflohen. Seit gut einem Jahr wohnt das Ehepaar in einem Container in einer Gemeinschaftsunterkunft in Hamburg-Harburg.

Zwölf Quadratmeter, die als Schlafraum sowie als Wohn- und Arbeitszimmer für beide fungieren. Eine eigene Küche, ein eigenes Bad - das gibt es hier nicht. Dafür - teils nur durch dünne Containerwände getrennt - etwa 500 andere Menschen, oft mit großen Familien. "Manchmal ist es sehr laut", sagt Jonathan Real. Und: "Das Badezimmer ist schlecht." Es liegt außerhalb der Wohncontainer.

Das Ehepaar Real-Corea aus Nicaragua sitzt mit Wohnungslotsin Ulrike Hanemann vor einem Laptop und sichtet Wohnungsanzeigen. © Screenshot
AUDIO: "Schaffen wir das?" Wohnraum für Geflüchtete nur schwer erreichbar (4 Min)

Wenig Rückzugsmöglichkeiten im Containerdorf

Das Ehepaar Real-Corea steht in seinem 12 qm großen Wohncontainer. © Screenshot
Auf zwölf Quadratmetern lebt das Ehepaar Real-Corea in Hamburg-Harburg. Gern möchten sie in eine eigene Wohnung ziehen, doch die zu finden ist herausfordernd.

"Das ist doch mühsam, vor allem wenn das Wetter schlecht ist oder wenn man nachts raus muss," sagt Ulrike Hanemann. Sie ist ehrenamtliche Wohnungslotsin des Projekts "Wohnbrücke" der Hamburger Lawaetz GmbH. Diese hat das Motto "Weil aller Anfang Wohnung ist". Das trifft auch auf die Situation der Real-Coreas zu, die zu Hanemanns Schützlingen gehören. "Es gibt hier wenig Rückzugsmöglichkeiten", sagt Hanemann und kann den Wunsch nach einer eigenen Bleibe sehr gut verstehen.

Schließlich lernen beide Deutsch und wollen eine Ausbildung anfangen - zum Kommunikationsdesigner und zur Erzieherin. "Ich kann mir schwer vorstellen, wie man hier lernen kann, wenn rundherum Campingplatz-Atmosphäre ist", sagt Hanemann. "Ich kann mir auch schwer vorstellen, dass man einer geregelten Arbeit nachgeht, wenn man nachts nicht schlafen kann und wie man morgens pünktlich zur Arbeit kommt, wenn die Duschen alle besetzt sind."

Eine eigene Wohnung wäre "eine emotionale Versicherung, um Privatsphäre zu haben", sagt Jonathan Real. "Wir glauben, dass es sehr wichtig für unsere Integration ist. Wir wollen eine eigene Wohnung, mit eigenem Badezimmer, eigener Küche, mit all unseren Sachen."

Im Schnitt vier Jahre in Gemeinschaftsunterkunft

Doch eine eigene Wohnung ist für viele Geflüchtete in Hamburg unerreichbar. Aktuell leben rund 47.000 Geflüchtete in Unterkünften der Stadt. Selbst wer ein Bleiberecht hat und womöglich sogar schon Arbeit, zieht oft lange nicht aus. Durchschnittlich wohnen Geflüchtete rund vier Jahre in Gemeinschaftsunterkünften, weil sie keine eigene Wohnung finden.

Private Vermieter sind häufig zurückhaltend, wenn es um Geflüchtete geht. Sie scheuen die fremde Sprache, den Kontakt mit Behörden. "Wenn Vermieter wissen, da sind 50 andere Kandidaten und bei Geflüchteten muss das Wohnungsangebot ans Amt für Migration geschickt werden und hoffentlich kommt die Antwort dann zeitnah, sind die schlechter aufgestellt als die, die sofort sagen 'Ich nehme die Wohnung heute, und morgen zieh ich ein'", berichtet Hanemann von ihren Erfahrungen. Das gehe bei einer Vermietung an Geflüchtete alles nicht so schnell. "Das heißt, wir sind über Kreuz mit einer Bürokratie, die das nicht leisten kann, die chronisch überfordert ist." Und so bleiben viele Geflüchtete viel zu lange in den Sammelunterkünften.

Rückstau wirkt sich auf Erstaufnahmekapazitäten aus

Ein Problem ist das nicht nur für die Bewohner selbst, die sich nach mehr Platz und Privatsphäre sehnen, sondern auch für die Politik. Denn der Rückstau führt dazu, dass Plätze in Gemeinschaftsunterkünften, die eigentlich für neu ankommende Geflüchtete vorgesehen sind, knapp werden.

Das ist nicht nur in Hamburg ein Phänomen, sondern auch in Niedersachsen. Dort falle es Geflüchteten ebenfalls schwer, eine Bleibe zu finden, teilt der Niedersächsische Städte- und Gemeindebund mit. "Der Mietwohnungsmarkt ist in den meisten Städten und Gemeinden auch jenseits der Ballungsräume stark angespannt, mit entsprechenden Auswirkungen auf die Herausforderung der Flüchtlingsunterbringung." Es bleibe daher bei einer gemeinsamen Kraftanstrengung aller Beteiligten, Wohnraum zur Verfügung zu stellen. Bund und Länder dürften die Kommunen nicht alleine lassen, sowohl in finanzieller als auch organisatorischer Hinsicht, was etwa die Vergrößerung der Kapazitäten bei der Landesaufnahmebehörde angeht.

Angespannte Wohnungslage selbst in Dithmarschen

Auch der Schleswig-Holsteinische Gemeindetag sieht eine "Konkurrenz" um freie Wohnungen sowie einen generellen Mangel auf dem Wohnungsmarkt auch außerhalb der Ballungsräume. Selbst in Dithmarschen sei die Lage mittlerweile angespannt, auch dort stünden keine Wohnungen leer. Teilweise wohnen den Angaben zufolge Geflüchtete, die schon während der Welle 2015 kamen und anerkannt sind, sogar teilweise arbeiten, immer noch in öffentlicher Unterbringung, darunter auch Familien. Der Gemeindetag sieht "eine riesige Herausforderung für die Kommunalverwaltungen".

Norderstedts Oberbürgermeisterin Katrin Schmieder beschreibt das so: "Weil viele Geflüchtete wegen fehlenden Wohnraums auf dem freien Wohnungsmarkt lange nicht aus den Unterkünften ausziehen, muss Norderstedt in den nächsten fünf Jahren vermutlich mindestens weitere 500 Unterbringungsplätze schaffen." Denn Plätze in den Unterkünften würden durch Wohnraumsuchende blockiert, gleichzeitig halte der Zuzug von Flüchtlingen aufgrund der weltweiten Krisensituationen an.

Stadt Hamburg baut selbst Wohnungen - und schürt Neid

Wohnungen entstehen im Neubauviertel in Hamburg-Bahrenfeld. © Screenshot
In Hamburg-Bahrenfeld entstehen 107 Wohnungen für zunächst bis zu 370 Geflüchtete. Dazu wurden mit den Anwohnern vorab Gespräche geführt, zudem soll das Wohngebiet später Sozialwohnungen für alle Hamburger bieten.

Um diesen Teufelskreis zu durchbrechen, baut die Stadt Hamburg mittlerweile selbst Wohnraum. In Hamburg-Bahrenfeld entstehen unter dem Titel "In Zukunft Wohnen" 107 Wohnungen. "Da werden wir im ersten Schritt bis zu 370 geflüchtete Menschen unterbringen", sagt Wolfgang Arnhold, Sprecher der Sozialbehörde. Vor allem Familien, die eine dauerhafte Perspektive in der Stadt haben, sollen hier einziehen, aber auch wohnungslose Hamburger. Ziel sei es gewesen, die Menschen in einem Sozialraum unterzubringen, der Integration ermögliche - mit Schulen, Kitas, guter ÖPNV-Anbindung.

107 Wohnungen klingt zunächst nach viel, ist aber trotzdem zu wenig. "Wir sind zunehmend in einer Situation, wo wir an unsere Grenzen stoßen", sagt Arnhold. Die Auslastung im gesamten Unterbringungssystem liege aktuell bei 97 Prozent. "Wir sind laufend dabei, neue Flächen zu suchen, neue Standorte wie auch hier zu schaffen." Doch solche Angebote sorgen auch für Neid. Günstige Drei- oder Vier-Zimmer- Wohnungen sind überall in Hamburg gefragt. Deshalb soll das Projekt langfristig umgewandelt werden - in Sozialwohnungen für alle Hamburger.

In der direkten Nachbarschaft gab es auch Sorgen: Zu groß sei das Projekt, für zu viele Geflüchtete. Eine Herausforderung für das Viertel: "Wir haben in Hamburg eine Stadtgesellschaft, die eine starke Willkommenskultur ausstrahlt, die auch bereitwillig mithilft bei der Integration", sagt Arnhold. Gleichwohl müsse man aufpassen, dass die Stadtgesellschaft nicht überfordert werde. "Insofern ist das tatsächlich ein schmaler Grat, auf dem wir uns da bewegen."

Außerhalb Hamburgs ist es günstiger - doch dorthin darf man nicht

Derweil sondiert das Ehepaar Real-Corea weiter Mietanzeigen. Ob das Amt ihre Miete übernehmen würde, ist noch nicht klar. Im besten Fall bekommen sie knapp 800 Euro. Nicht wenig, doch Hamburg ist teuer: "In diesem Segment findet man nur noch in der Peripherie was, eigentlich nur außerhalb von Hamburg", sagt Wohnungslotsin Hanemann.

Doch selbst wenn die Wohnungssuchenden dazu bereit sind - so einfach ist das nicht. "Oft kommen Nicaraguaner und sagen: Ich hab' was gefunden, das passt und ich sage dann: Wo ist das denn? Ach, in Schleswig-Holstein, dumm gelaufen. Oder in Niedersachsen, ne, leider geht das nicht." Denn es gibt noch einen bürokratischen Fallstrick: "Sie müssen ihre Wohnung in Hamburg haben, sie dürfen nicht außerhalb wohnen."

VIDEO: Hamburger Wohnungsmarkt: Neue Mietverträge immer teurer (2 Min)

Mehr Wohnraum für Geflüchtete: Ist das zu schaffen?

Angesichts all dieser Schwierigkeiten bei der Wohnungssuche: Schaffen wir das - mehr Wohnraum für Geflüchtete? "Wir arbeiten jeden Tag daran, dass wir zum einen die Menschen, die in großer Not zu uns kommen, unterbringen, aber auch die Wohnungslosen in unserer Stadt gut versorgen", sagt Hamburgs Sozialbehörden-Sprecher Wolfgang Arnhold.

"Wir müssen das schaffen", meint Norderstedts Oberbürgermeisterin Schmieder. "Wir müssen diese Geflüchteten, die uns vom Land zugewiesen werden, ja unterbringen." Die Frage sei daher eher, wie das zu schaffen ist. "Und das bedeutet im schlechtesten Fall, Standards in den Unterkünften weiter abzusenken, Zimmer mit mehr Menschen belegen."

Auch für Ulrike Hanemann ist die Frage "Ist das zu schaffen?" die falsche. Hamburg müsse das schaffen - ohne die Gesellschaft weiter zu spalten und "ohne Menschen zu demotivieren, die zu uns kommen und ihr Leben neu beginnen müssen und wollen". Schließlich brauche das Land qualifizierte Fachkräfte. "Deswegen gibt es gar keine Alternative dazu, diesen Wohnraum zu schaffen und den Menschen die Möglichkeit zu schaffen, sich hier zu integrieren und in unserer Gesellschaft ihren Beitrag zu leisten."

Sie will das Ehepaar Real-Corea weiter unterstützen. Auch wenn dessen Suche nach einer eigenen Wohnung noch sehr lange dauern könnte.

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Dieses Thema im Programm:

NDR Info | NDR Info | 11.09.2024 | 21:45 Uhr

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