Nachgedacht: Panzer-Gewissheit und das Urteil der Geschichte
Kein Thema hat die deutsche Öffentlichkeit zuletzt so bewegt wie die Frage nach Leopard-Panzern für die Ukraine. Eine beunruhigende Diskussion, findet Ulrich Kühn:
Der Zufall produziert die besten Pointen. Am Tag, an dem die Deutschen vor Begeisterung erschauern, weil der Antikriegsfilm "Im Westen nichts Neues" für neun Oscars nominiert ist - am selben Tag wird bekannt, dass der Kanzler den "Leo" nun doch von der Leine lässt. Die Begeisterung der veröffentlichten Meinung - ja, das war fast Singular - über den Kanzlerbeschluss stand in nahezu nichts zurück hinter der Vorfreude auf die Oscars. Zwar spiegelt sich diese Einhelligkeit nicht im differenzierteren Bild, das sich aus Meinungsumfragen ergibt. Dennoch herrscht der Eindruck vor: So viel Einigkeit war nie, wenn es ums Waffenliefern ging. Nicht in Nachkriegsdeutschland.
Hören wir Menschen genauer zu, die sich am meinungssichersten äußern
Folgt jetzt also die Gegenmeinung, weil sie in der Debatte vielleicht zu kurz gekommen ist? Nein. Es gibt in Deutschland Abermillionen Militärexpertinnen, Berufsdiplomaten, Putin-Psychiater, Historikerinnen, die stets exakt die richtigen Lehren aus dem Wissen ziehen, das sie sich in kürzester Zeit per Wikipedia erarbeitet haben. Diese gepanzerte Gewissheit ist Expertise genug, sie braucht kein Gegenstück. Stattdessen schlage ich vor: Hören wir Menschen genauer zu, die sich am meinungssichersten äußern. Klopfen wir auf ihre Meinungspanzer.
"Die Geschichte schaut auf uns, und Deutschland hat leider gerade versagt"
Marie-Agnes Strack-Zimmermann zum Beispiel, Vorsitzende des Verteidigungsausschusses im Deutschen Bundestag, hat eine ungewöhnliche Begabung. Während wir anderen bis zur Halskrause in dieser Gegenwart stecken und wie verrückt strampeln, um den Kopf über Wasser zu halten, weiß sie schon, was die Geschichte sagt, als wäre sie eine objektiv-finale Instanz. "Die Geschichte schaut auf uns, und Deutschland hat leider gerade versagt", verkündet sie, nachdem beim Treffen in Ramstein der Leopard nicht freigelassen worden ist.
Während sich höchst komplexe Ereignisse entwickeln, über die vielleicht in Jahren historisch Stabiles gesagt werden kann, kennt Frau Strack-Zimmermann also schon das Urteil der Geschichte. Das erinnert ein bisschen an Fußballer, die nach dem Pokalfinale stammeln, sie hätten gerade Geschichte geschrieben, was komisch und deshalb verzeihlich ist. Weniger verzeihlich, weil der Fall zu ernst liegt, ist das klappernde Pathos dieser Waffen-Debatte. Deutschland versagt vor der Geschichte - und vier Tage später ist das Versagen bereits korrigiert? Also doch nicht - historisch? Man muss sich mühen, das ernst zu nehmen.
Panzer: Zerstörung und Erlösung in einem
Als die Pro-Panzer-Entscheidung kam, begrüßte Frau Strack-Zimmermann "eine erlösende Nachricht für das geschundene [...] ukrainische Volk". Erlösung also, diese von Religionen vorgesehene endgültige Befreiung von allem Übel - und zwar durch Panzer, die im besten Falle helfen, Kriege stillzustellen oder zu beenden, aber doch stets um den tragischen Preis, selbst Zerstörung zu bewirken? Ist es klug, sich so in der Kategorie zu vergreifen? Qualifiziert das für höchste Ämter?
Was steckt unter diesem Rechthabepanzer?
Apropos höchste Ämter. Jessica Berlin, eine Politik-Analystin, weiß vor dem Panzerbeschluss, laut Wochenzeitung DIE ZEIT, auf Twitter ganz genau, dass wir von "ahnungslosen Sockenpuppen" regiert werden. Als dann doch Leoparden freigegeben werden, nur eben wohlgemerkt erst, nachdem sich die USA entgegen ihrer ursprünglichen Absicht bereit erklärt haben, ihrerseits Abrams-Panzer zu liefern, ein wesentlicher Unterschied - da wissen viele dieser Allzu-Gewissen triumphal vor allem eins: Sie hatten und haben jederzeit recht, es sei ja exakt so gekommen, wie sie gefordert haben. Das stimmt zwar nicht ganz. Aber gegen diese Einsicht schützt der Panzer der Gewissheit. Manchmal muss man leider befürchten, es sei nur der Panzer der Rechthaberei. Als käme es darauf an, wenn es um Krieg und Frieden geht.