NachGedacht: Gott guckt Netflix
Gern würde Alexander Solloch nachdenken über etwas, was Hoffnung macht. Vielleicht ein anderes Mal, denn derzeit bestimmen andere Themen den Alltag.
Gott möge Donald Trump Weisheit schenken. Der Papst bat - oder betete - darum am Tag der Amtseinführung des Präsidenten. Auch die Geistlichen, die dem Spektakel am Ort des Geschehens selbst ihren Segen gaben, statt es, wie es ihre Aufgabe gewesen wäre, als sündhaftes Schauspiel zu boykottieren, äußerten diese Hoffnung: Weisheit für den Präsidenten.
Dabei weiß doch längst jeder, dass Gott in dieser Hinsicht ein Totalverweigerer ist. Er behält seine ganze Weisheit für sich und schaut sich ansonsten das menschliche Treiben vergnügt an wie eine Netflix-Serie: "Ach, guck mal Gabriel, jetzt wiederholen sie die Faschismus-Episode wieder, reich' mal noch 'ne Tüte Chips 'rüber!"
Warme Worte und leblose Blicke
Der einzige Mensch in diesem Investiturreigen, der seine Religion angemessen vertrat, war natürlich eine Frau. Mariann Edgar Budde, die anglikanische Bischöfin von Washington, bat Trump um Mitleid für diejenigen in den USA, die jetzt Angst hätten. Konkret nannte sie queere Menschen und Migranten ohne geregelten Aufenthaltsstatus. Wärmend waren ihre Worte der Barmherzigkeit.
Dann aber fröstelte es einen wieder, als die Kamera die leblosen Blicke des Angesprochenen zeigte, seiner Angehörigen, seiner Gefährten, diese absolute Leere, dieses totale Nichts in den Augen und Herzen von Leuten, die einfach nicht kapieren, dass und warum es Menschen geben kann, die sich erstens Gedanken und zweitens sogar um Mitmenschen machen, welche keine Multimilliardäre sind. Es ist so bitterkalt.
Trumps lauter Hass vs. leise Sanftheit
Ist es in dieser Lage überhaupt richtig, den Straftäter Trump, nachdem dieser seinen Plan zur Zerstörung der Grundlagen menschlichen Lebens vorgelegt hat, noch um irgendetwas anzuflehen? Ihm ehrerbietig ein Gnadengesuch vorzulegen, statt ihm Widerstand ins Gesicht zu spucken?
Hätte die Bischöfin nicht wenigstens ausrufen können: "Der Zorn des Allmächtigen möge Sie am Kragen packen, und überhaupt, you're a bad man, Mr President!"? Ach nein. Natürlich ist es klüger, Trumps lautem Hass leise Sanftheit entgegenzusetzen. Aber man schaut sich das alles mit starrem Entsetzen und finsteren Gedanken an und denkt: "Nein, dieser Mann macht aus einem keinen besseren Menschen."
Menschlich verständlich - zugleich auch zerstörerisch
Man sieht das auch an der letzten Amtshandlung seines Vorgängers, des mutmaßlich weitgehend untadeligen Staatsmanns Joe Biden. Vorsorglich begnadigte er noch schnell Mitglieder seiner eigenen Familie und Trump-Kritiker. Das ist menschlich verständlich, da nichts darauf hindeutet, dass Trump auf Rachefeldzüge verzichten könnte. Aber dieser Akt ist zugleich auch zerstörerisch, weil er es zum einen Trump und all seinen Nachfolgern (also Elon Musk, Donald Trump jr. und Barron Trump) erlaubt, dasselbe auch am Ende ihrer jeweiligen Amtszeit zu tun, und weil er aussagt, dass auf den Rechtsstaat nicht vertraut werden kann. Damit aber ist die Demokratie tot.
Genau das ist es, was Trump und seine Liebhaberinnen und Liebhaber in Europa wollen: Keine Verlässlichkeit, nirgends; stattdessen: Disruption, Unfrieden, Chaos, Störung und Zerstörung. Und wir schauen zu. Und lassen sie gewähren. Und wählen sie.
Der Mensch, das feindselige Wesen
Falls auch noch andere intelligente Lebensformen, also z.B. Außerirdische oder Erdmännchen, eine Art "Wikipedia" haben, steht dort unterm Lemma "Mensch" im Abschnitt "Sozialverhalten" ungefähr dies: "Der Mensch ist ein gegen sich und seine Umwelt gleichermaßen feindseliges Wesen, das vor allem sonntags ganz ergriffen von seiner Güte ist. Den sieben Weltmeeren hat er ein weiteres, künstlich angelegtes Meer aus Blut und Tränen hinzugefügt, das er regelmäßig gewissenhaft auffüllt. Ihm ist ein hohes Maß an Schläue eigen. Zur Erlangung von Weisheit hingegen fehlt ihm jede Möglichkeit." Und Gott sagt: Sag' ich doch!
Anmerkung der Redaktion: Liebe Leserin, lieber Leser, die Trennung von Meinung und Information ist uns besonders wichtig. Meinungsbeiträge wie dieser Kommentar geben die persönliche Sicht der Autorin / des Autors wieder. Kommentare können und sollen eine klare Position beziehen. Sie können Zustimmung oder Widerspruch auslösen und auf diese Weise zur Diskussion anregen. Damit unterscheiden sich Kommentare bewusst von Berichten, die über einen Sachverhalt informieren und unterschiedliche Blickwinkel möglichst ausgewogen darstellen sollen.