Vertraut und selbstironisch: "Curious Ruminant" von Jethro Tull
Die Band Jethro Tull von Ian Anderson ist seit 1967 aktiv, hat 60 Millionen Alben verkauft und besitzt ein einmaliges Alleinstellungsmerkmal: die Flöte. Genau die dominiert auch das neue, mittlerweile 24. Studio-Album der Briten.
Seit 2022 hat Ian Anderson drei Alben aufgenommen - ein Arbeitstempo, das an die 60er und 70er-Jahre erinnert, als er einen Klassiker nach dem anderen hervorgebracht hat. Ob "Curious Ruminant" je in einem Atemzug mit "Stand Up" oder "Aqualung" genannt wird, ist zu bezweifeln, aber: Es ist ein bemerkenswertes Spätwerk. Angefangen beim selbstironischen Titel "Curious Ruminant": Anderson als Ziegenbock mit grüblerischer Weltsicht. "Ein Wiederkäuer ist ein Säugetier, das Gras frisst und wieder hochwürgt, nachdem es vorverdaut wurde. Es steht aber auch für eine Person, die viel über Dinge nachdenkt", erzählt Anderson. "Ich lege jedem nahe, die Dinge zu beobachten, zuzuhören, zu lesen, Sachen in sich aufzusaugen und zu überdenken. Nur so versteht man ihre Relevanz in Bezug auf die anderen Faktoren des Lebens", betont der Musiker.
Hadern mit der modernen Welt
Was Anderson nahelegt, beherzigt er auch selbst: Die neun Stücke sind seine Sicht auf die moderne Welt. Er bringt unmissverständlich zum Ausdruck, dass er diese Welt nicht mag. In "Dunsinane Hill" besingt er eine historische Intrige auf Basis von Gier und Hass. "Savannah Of Paddington Green" kritisiert die vorsätzliche Verwilderung einer Parkanlage, die einer Umgehungsstraße weichen soll. Und "Over Jerusalem" ist eine schallende Ohrfeige für zwei Seiten, die partout nicht verzeihen wollen.
"Jerusalem stimmt mich traurig. Die Stadt hat so viel zu bieten - verschwendet aber die Chance, ein Zentrum für Akzeptanz unterschiedlicher Kulturen zu sein. Stattdessen ist sie so entzweit, dass es von Polizisten wimmelt und von Jugendlichen, die mit Steinen werfen. Letztes Jahr ist es dort sogar noch schlimmer geworden: durch die furchtbaren Taten der Hamas, aber auch das Vorgehen von Netanyahu und dem Militär - mit ihrem Durst nach Rache und Vergeltung."
Vertrautes von charakteristischer Flöte
Seine mahnenden Worte intoniert der Rock-Veteran auf vertraute Weise. "Curious Ruminant" pendelt zwischen Folk und Prog-Rock, zwischen akustischen und elektrischen Tönen, kurzen Dreiminütern und epischen Song-Monstern - alles mit Andersons charakteristischer Flöte. Einziger Schwachpunkt dieses überzeugenden Albums ist der Gesang. Dem 77-Jährigen fehlt die einstige Power. "Das passiert jedem Sänger: Mit dem Alter lässt die Stimme nach und klingt ein bisschen tiefer", erklärt er. "Sie besitzt nicht mehr die Reinheit und Agilität wie bei einem Zwanzigjährigen. Dieses Problem hatte selbst Pavarotti." Man solle trotzdem versuchen, seinen bestmöglichen Job zu leisten, erzählt er, sei es mit der Flöte. Was die betrifft, ist Anderson immer noch eine Koryphäe - und allein auf weiter Flur.
Curious Ruminant
- Genre:
- Rock
- Veröffentlichungsdatum:
- 07.03.2025
Schlagwörter zu diesem Artikel
Rock und Pop
