Das neue Stones-Album: Mick Jagger & Co. in Bestform - und auf Platz eins
Das neue Stones-Album ist durchgestartet: Mit großem Abstand liegt es auf Platz der offiziellen deutschen Albumcharts und hat bereits Gold-Status erreicht. Das "Rolling Stone Magazin" schreibt, es sei das beste Album der Stones seit einem halben Jahrhundert. Der britische "Independent" sagt sogar, es sei ihr bestes seit den 70ern. Wir haben unsere Popkorrespondentin Anja Caspary gefragt.
Wie gelungen war die erste Single "Angry"?
Anja Caspary: Na ja, sie war ein schmissiger Album-Opener, aber wurde überschattet vom sexistischen Altherrenvideo, in dem sich ein halbnacktes Mädchen im und auf einem Cabrio räkelt. Für 2023 schon extrem unangemessen. Ich hatte also nach dem Video nicht viel erwartet und muss nun mit Erschrecken konstatieren: "Hackney Diamonds" ist richtig gut. Von den zwölf Tracks ist einer besser als der andere. Das ist fast wie mit "Rumours" von Fleetwood Mac – voll durchhörbar, brillante Songs. Es gibt keinen einzigen Ausfall.
Woran liegt es?
Caspary: Am Songwriting, an der Produktion und vor allem an Mick Jagger. Der präsentiert sich in Topform, er knurrt, er schreit, er schmelzt mit der Vitalität eines jungen Mannes, seine Stimme klingt absolut frisch. Vielleicht hat er intravenöse Sauerstofftherapie gemacht oder extremen Ehrgeiz entwickelt? Hat er eine neue Freundin im Alter seiner Enkelinnen? Ich weiß es nicht. Vielleicht liegt's auch an Andrew Watt.
Das ist der Produzent, mit dem haben die Stones zum ersten Mal zusammengearbeitet. Wer ist er und wo kommt der her?
Caspary: Der New Yorker ist bekannt geworden als Produzent von alten Hardrock-Haudegen wie Pearl Jam und Metallica, hat aber auch R&B-Girls wie Miley Cyrus oder Rita Ora betreut. Der kann also Alt und Neu gleichermaßen. Vielleicht hat der 32-Jährige ja Mick Jaggers Stimme auch technisch aufgemöbelt. Wer weiß. Jedenfalls habe ich mehrmals Gänsehaut gekriegt. Immer wenn Mick nach den ersten Akkorden anfängt zu singen, ganz besonders bei der Country-Ballade "Dreamy Skies". Die hätte auch auf dem 70er-Meilenstein „Exile on mainstreet“ drauf sein können. Wirklich, kann nur den Hut ziehen. Auch vor Keith, der singt die Leadstimme auf dem Track „Tell me straight“ und zwar ganz klar, mit flexiblen Stimmbändern. Vorbei ist das rau-belegte Geknödel von früher. Auch er klingt besser als je zuvor. Aber das mag daran liegen, dass er seit 2019 nicht mehr raucht.
Es gibt auch einige Gastauftritte auf „Hackney Diamonds“, zum Beispiel von Elton John und Stevie Wonder.
Caspary: Ja , die hauen beide in die Tasten und es ist erstmals auch ein Beatle dabei. Also, die Rivalität, Beatles oder Stones, das war ja die Gewissensfrage der 60er, ist definitiv vorbei. Paul McCartney hat den Stones nicht nur Andrew Watt empfohlen, sondern bei dem punkig angehauchten Aggro-Stomper "Bite My Head Off" Bass gespielt. Das Lied hat 150 Beatsperminute, und Mick Jagger behauptet, dass so schnell und aggressiv nur McCartney Bass spielen kann. Apropos Bass: Es gibt’s noch eine Reunion von Bill Wyman und Charlie Watts. Der eine ist schon vor 30 Jahren ausgestiegen, der andere vor zwei Jahren gestorben. Aber auf dem Song "Live By The Sword", das ist so ein typisch schmutzig polternder Stones-Song mit einer sehr eingängigen Hookline. Da treffen sie noch mal aufeinander.
Charlie Watts hat ja auch noch auf einem zweiten Song vom Album vor seinem Tod Schlagzeug gespielt. Du hast die Stones in London getroffen. Gab es auch mal die Überlegung aufzuhören?
Caspary: Nein, keine Sekunde. Keith Richards meinte : Die Band macht natürlich immer weiter, Things have to move, you know. Alles muss in Bewegung bleiben. Und mit der Einstellung haben sie einen wirklichen Diamanten eingespielt – Das ist hier beileibe kein Rentneralbum auf dem sie nur den Status Quo verwalten, Hackney Diamonds gehört in die Top 10 der Stones, genauso wie das Duett von Jagger mit Lady Gaga. Die schreiben gemeinsam Musikgeschichte. Wie sie ihre Stimme nach oben schraubt und den Himmel anbellt, während Jagger die Brust rausschiebt und wie 26 klingt und dazu noch das Keyboard-Solo von Stevie Wonder - das ist ganz große Kunst.