Rap vom Dorf: Die "Hinterlandgang" aus Jarmen in Vorpommern
Die Hinterlandgang macht Rap aus der ostdeutschen Provinz. Albert Münzberg und Pablo Himmelspach rappen gegen Langeweile, Klischees und Rechtsruck und organisieren selbst ein Festival: "100 Tage Sommer" am 20. Juli in Demmin.
"Auch wenn es hier manchmal so ruhig und teilweise eine Idylle ist, gibt es einfach Themen, die mich und uns total beschweren", sagt Pablo Himmelspach.
"Fick' deinen Yogakurs, Vorpommern bleibt Kampfsport.
Faschos an der Tanke, doch unsere Gang ist die Antwort.
Du bist jetzt laut und hast die Jungs mitgebracht, doch gestern habe ich dich gesehen und du hast deinen Mund zugemacht."
Aus "Vorpommern bleibt Kampfsport"
Albert und Pablo leben auf dem Dorf. Dort, wo junge Menschen scharenweise wegziehen - in Richtung Stadt. Zusammen sind sie das Rap-Duo Hinterlandgang.
Mit Rap gegen das Provinz-Klischee
Nach Ausbildung und Studium entscheiden sich die beiden Rapper ganz bewusst dafür, in ihre ostdeutsche Heimat zurückzukehren - allen Vorurteilen zum Trotz. "Ich nehme auf jeden Fall wahr, dass es ein sehr klischeebehafteter Blick aus einigen Teilen auf den Osten ist", sagt Pablo. "Das heißt: arbeitslos, rechtsextrem, frustriert, was weiß ich."
"Die Leute können hier auf die Gegend gucken, aus der wir kommen, und sehen, dass es in der ostdeutschen Provinz richtig viele coole junge Leute gibt, die absolut Bock haben, was aufzuziehen", meint Albert. Genau darum geht es ihnen mit ihren Songs: den Klischees etwas entgegenzusetzen. Sie erzählen vom Erwachsenwerden in der ostdeutschen Provinz - zwischen Tristesse, Perspektivlosigkeit und Hoffnung.
"Zusammen erste Schritte, die schweren und die leichten.
Wollen hier nicht weg, können hier nicht bleiben, graue Bordsteinplatten, rostiger Maschendraht."
Aus "Kleinstadtfieber"
"Wir sind die einzigen, die Texte schreiben, mit denen sich ganz viele junge Menschen hier in der Gegend gesehen fühlen. Das sind Songs, die uns eine Identität und ein Verständnis dafür gegeben haben, in was für einer Gegend wir eigentlich aufwachsen und warum diese ganze Tristesse um einen herum auch etwas Besonderes und Krasses ist", erklärt Albert.
Idyllische Kindheit und jugendliche Provinzdramen
Aufgewachsen sind die beiden 26-Jährigen auf einem kleinen Dorf in Vorpommern. "Ich glaube auf jeden Fall, dass das Aufwachsen auf dem Land ganz viel Freiraum geben kann - für ganz vielfältiges Erleben als Kind, um ganz viel Phantasie in so einen Tag reinzustecken", findet Albert. "Wir sind ganz viel herum gefahren, haben Sachen entdeckt - neue Orte, irgendwelche Kleinigkeiten -, haben uns Geschichten dazu ausgedacht und haben richtig früh schon Musik zusammen gemacht, ich glaube in der ersten und zweiten Klasse schon. Da haben wir unseren allerersten Song aufgenommen: 'Tante Erna'. Der ging so: 'Tante Erna, Tante Erna sitzt auf dem Sofa und säuft. Sie guckt in den Fernseh-Fernseher, was da gerade so läuft.'"
Sie beschönigen nichts und erzählen in ihren Liedern auch vom typischen Jugend-Provinzdrama auf der Landstraße:
"Ich höre mich rufen: 'Bitte guck auf die Straße!'
Knöchelweiß am Lenkrad, bist nicht Herr unserer Lage.
Schnee so weiß im Scheinwerferlicht, bis der rosa Mitsubishi auf die Leitplanke trifft."
Aus "Rosa Mitsubishis"
"Später war es trotzdem so, dass das irgendwann umgekippt ist - auch bei mir. Das hat etwas mit Langeweile tun, was teilweise einfach destruktiv war und wo man sich selbst geschadet hat - da haben Drogen und Alkohol auch eine Rolle gespielt", erzählt Pablo.
Hinterlandgang trifft einen Nerv
Mit 18 veröffentlichen sie erste Songs auf YouTube: Das Aufwachsen auf dem Dorf als Thema im Hip-Hop - das ist erstmal ungewohnt, sagt Albert: "Davor war Rap-Musik hören für uns beide: Wir gucken uns das im Internet an. Man findet das cool, aber wir hatten eigentlich gar keinen Bezug dazu. Dann kam das auf einmal, dass ich zum ersten Mal verstanden hab: Diese Themen, die uns und ganz, ganz viele junge Menschen hier betreffen, kann man genauso behandeln."
Sie treffen offenbar einen Nerv - nicht nur bei Fans auf dem Dorf, sondern auch in der Stadt.
"Sie wächst auf in einer betonierten Platte der Sowjetunion, steht für eine Zukunft, in der alle gleich gut wohnen.
Ihre Augen sind gerichtet auf den strahlend roten Horizont, sehen schon den Klassenfeind, wie er mit seinen Bombern kommt."
Aus "3. Oktober"
Die Hinterlandgang rappt über die DDR-Vergangenheit ihrer Eltern und positioniert sich gegen die AfD. Mit rechtsextremen Haltungen müssen sie sich auf dem Dorf auseinandersetzen, erzählt Albert: "Es ist auf jeden Fall so, dass man auf dem Dorf alle möglichen unterschiedlichen Menschen trifft. Man kann sich nicht in eine Bubble reinflüchten. Du bist mit Menschen konfrontiert, die du eigentlich total gerne magst, die aber vielleicht rechte Denke haben, die AfD wählen."
"Das hängt auch mit der Entwicklung hier zusammen - und die ist so, dass es für viele Leute ein Gefühl der Abgehängtheit und Verlorenheit gibt", ergänzt Pablo. "Das konnte ich vor allem in meiner Jugend total nachvollziehen. Man steht manchmal da mit einem Gefühl und weiß eigentlich gar nicht, wohin. Frust und Wut müssen irgendwohin. Bei uns ist das die Musik und darüber bin ich so dankbar."
"100 Tage Sommer": Die Provinz ist kein kulturfreier Raum
Landleben: Das Rap-Duo Hinterlandgang ist bewusst in sein Heimatdorf zurückgekehrt. Was hält sie da? "Ich denke, dass die Gegend für mich erdend ist", sagt Albert. "Ich kenne mich hier aus. Ich fühle mich wohl und sicher. Ich kann mir gut vorstellen, dass ich in einer Stadt wie Berlin mit der Musik mehr Möglichkeiten hätte, aber ich habe einfach gemerkt, dass mir das weniger gibt, als die Menschen, die mich auffangen - und das ist einfach hier." Und sie werden selbst aktiv und organisieren jedes Jahr ein Open-Air-Festival in der nahen Kleinstadt Demmin: "100 Tage Sommer". Sie wollen was losmachen und zeigen: "Die Provinz ist kein kulturfreier Raum, weil hier ganz viel passiert", sagt Albert.
"Wir machen das '100 Tage Sommer', weil wir die gemeinsame Begegnung vor allem dort, wo wir herkommen, in unserer Heimat, einfach so schön finden", erzählt Pablo "Und weil wir uns nicht mit diesem Gedanken abfinden wollen: Hier ist nichts los und hier passiert nichts." Albert ergänzt: "Es muss einfach passieren, dass junge Leute, die wirklich anpacken wollen, in die Provinzen ziehen, dass junge Leute hier etwas reißen wollen und dass ältere Menschen das Gefühl haben, hier passiert was - wir sterben nicht bald aus und dann gibt es mein Dorf nicht mehr."
"Wir gehen nicht in den Westen, sondern baden in der Tollense, mit den Brüdern und Schwestern.
Marco Polo forever, graue Wände, rote Farben, überall dort, wo wir waren."
Aus "Tollense"