Cover des Kettcar-Albums "Gute Laune ungerecht verteilt" © Grand Hotel Van Cleef
Cover des Kettcar-Albums "Gute Laune ungerecht verteilt" © Grand Hotel Van Cleef
Cover des Kettcar-Albums "Gute Laune ungerecht verteilt" © Grand Hotel Van Cleef
AUDIO: Neues Album Kettcar "Gute Laune ungerecht verteilt" (5 Min)

Neues Kettcar-Album: Songs für die Schwächsten der Schwachen

Stand: 04.04.2024 14:37 Uhr

Knapp sieben Jahre sind vergangen seit "Ich vs. Wir", dem letzten Album der Hamburger Band Kettcar. Jetzt erscheint der Nachfolger "Gute Laune ungerecht verteilt". Matthes Köppinghoff hat die Platte schon gehört und Sänger Marcus Wiebusch zum Interview getroffen.

von Matthes Köppinghoff

Die Welt ist seit der letzten Kettcar-Platte nicht unbedingt eine bessere geworden; gute Laune: ein rares Gut. Mit "Gute Laune ungerecht verteilt" geht die Band ihren Weg konsequent weiter. Zwar sind die Hamburger bekannt für Indie-Hits wie "Landungsbrücken raus" oder "Deiche", aber Sänger Marcus Wiebusch erklärt: Kettcar befinden sich in einer neuen Phase. "Am Anfang unserer Karriere haben wir sicherlich mehr Songs geschrieben, die um ein Ich kreisten. Diese Zeiten sind jetzt vorbei, und seit 'Ich vs. Wir', sind wir in eine andere Phase getreten, die sicherlich dadurch geprägt ist, dass wir sehr politische Songs schreiben, die stark mit der Zeit zu tun haben, in der wir leben."

Eine neue Bandphase bei Kettcar

Der gekonnte Kniff bei der neuen Kettcar-Platte: Es ist keine Kopie des Vorgängers. Ein kohärentes, rein politisches Album wäre möglich gewesen, so Wiebusch. Dennoch ist "Gute Laune ungerecht verteilt" vor allem eines: in sich ausgeglichen. Natürlich knallen besonders politische Songs wie "München", ein Song über Alltagsrassismus. Textpassagen wie "Er kam zum Essen, meine Mutter fragte: / "Darf ich einmal dein schönes schwarzes Haar anfassen?" / Du hast sie gelassen, etwas verkrampft gelächelt, gegessen und dich höflich bedankt …" wurden bereits vor anderthalb Jahren geschrieben, haben aber durch gewisse Geschehnisse, wie das Treffen von Rechtsextremen in Potsdam im Herbst, eine verstörende Gegenwärtigkeit. "München" ist definitiv kein fröhlicher Indie-Rock-Song, den man beiläufig beim Grillabend laufen lässt. Es ist ein Lied, das den Finger in die Wunde drückt. Betroffen macht auch das Musikvideo. Die Orte, die im Film zum Song gezeigt werden, sind die Tatorte der NSU-Mordserie.

Gute Laune - gerecht verteilt?

Kettcar schreiben keine Songs nach aktuellen Ereignissen, haken keine Krisen-To-Do-Listen ab, sondern werden von der Zeit eher eingeholt. Auf dem sechsten Studioalbum wird eine komplexe Welt in zwölf Songs gepackt. Kettcar-Sänger Marcus Wiebusch hat eine ganz klare Vorstellung davon, wer bei einer gerechten Verteilung mehr gute Laune verdient hätte: "Die Schwächsten der Schwachen. Also, so Songs wie 'Doug & Florence', oder auch die politischeren Sachen wie '6. Stunde' oder 'München'. Wir schreiben Songs, die eine Gesellschaft wollen, die von den Schwächsten her gedacht wird." Bei "Doug & Florence" sind das Pflegerinnen und Paketzusteller. Angelehnt an den The Smiths-Klassiker "Shoplifters of the world unite" gibt es hier, so seltsam und bitter das auch sein mag, einen Refrain, der bei den Konzerten bestimmt prima mitgesungen wird. Vielleicht auch bei Angestellten im Altersheim, wer weiß. 

Musikalisch und textlich auf einem Karrierehöhepunkt

Das Album "Gute Laune ungerecht verteilt" muss bewusst gehört werden und ist keine Musik für nebenbei. Beim Zuhören entdeckt man die vielschichtige Balance der Themen - politisch, persönlich, gesellschaftlich, empathisch. Beim Song "Kanye in Bayreuth" geht es um Cancel Culture und das Verhältnis zwischen Künstler und Werk. "Was wir sehen wollten" ist hingegen ein emotionales Kammerspiel in einem Krankenhauszimmer. Ein Album-Highlight ist die Alltagsbeobachtung "Einkaufen in Zeiten des Krieges", mit der herrlichen Textzeile: "Und nicht alle in Hamburg wollen zu König der Löwen".

Musikalisch wie textlich ist die Band auf einem Höhepunkt angekommen. "Gute Laune ungerecht verteilt" klingt frisch und gelungen. Die Hörer*innen bekommen einen Spagat zwischen lauter, erdrückender Ernsthaftigkeit, und auch sehr leisen und zarten Balladen wie "Zurück". Und diese Lichtmomente sind, wie die schweren Themen, wichtig für das große Ganze.

Die "Rio Reiser-Taktik"

"Das sind halt ganz andere Songs, ganz andere Bereiche des Lebens", so Wiebusch. "Und wir in der Band sagen immer: Wir malen das Bild ganz. Das sind auch wir. Also, diese Liebeslieder sind auch wir, neben Songs wie 'München'. Das ist uns auch wichtig, dass das immer so bleiben wird. Im Grunde genommen ist es die gute alte Rio-Reiser-Taktik, der zwischen seinen härtesten Politbrechern die zärtlichsten Liebeslieder hatte." Diese Taktik geht bei "Gute Laune ungerecht verteilt" sehr gut auf.

 

Weitere Informationen
Reimer Bustorff (l-r), Musiker der Band Kettcar, Marcus Wiebusch, Musiker der Band Kettcar, und Daniel Karasek, Generalintendant des Schauspiels Kiel, posieren am 11.01.2016 in Kiel (Schleswig-Holstein) vor dem Plakat zur Inszenierung "Die Räuber". © dpa-Bildfunk Foto: Markus Scholz

Rockoper: Kettcar vertonen Schillers "Räuber"

Gitarrenlastig, laut, wütend - so hat die Hamburger Indieband Kettcar die Musik zur Rockoper "Die Räuber" komponiert. Schillers Klassiker feierte am Freitagabend in Kiel Premiere. mehr

Schwarz-Weiß-Bild von Beyoncé mit einem Cowboy-Hut © Esra Bajraktari / Sony Music

"Cowboy Carter" von Beyoncé: Kraftvolle Selbstermächtigung

Beyoncé Knowles ist Grammy-Rekordhalterin und steht für gigantisch arrangierte Bühnenshows. Ihr neues Album widmet sich dem Country. mehr

Ein Mann lächelt in die Kamera. © NDR.de

James Blunt: "Ich bin nur ein Hofnarr mit Gitarre"

Seit 20 Jahren ist der Engländer erfolgreich. Im Rahmen seiner Deutschland-Tour gastierte er jetzt in Hamburg. mehr

Ein Musical-Darsteller, der wie Falco aussieht auf einer Bühne. © Screenshot

Rock me Amadeus: "Falco - Das Musical" in der Kongresshalle Lübeck

Mit Live-Musik und Wiener Schmäh feiert das Musical einen der erfolgreichsten Musiker der deutschsprachigen Pop- und Rap-Geschichte. mehr

Die dänische Musikerin Aura Dione auf ihrem Konzert auf Helgoland am 16.03.2024. Sie ist eine Frau um die 40 mit langen braunen Haaren. Sie spielt eine Akkustikgitarre und singt in ein Mikrofon. Hinter ihr beleuchten Scheinwerfer sie. © Screenshot

Aura Dione auf Helgoland: "Inselpublikum ist sehr besonders"

Aura Dione ist Dänemarks erfolgreichste Pop-Künstlerin. Ihr Auftritt war gleichzeitig Saisonauftakt für die Insel. mehr

Ein Mann sitzt mit Mikrofon am Klavier. © NDR.de

Chilly Gonzales in der Laeiszhalle: Gefühle leben

Der kanadische Musiker und seine Band begeisterten in Hamburg beim ersten von zwei Konzerten. mehr

Gute Laune ungerecht verteilt

Label:
Grand Hotel Van Cleef
Veröffentlichungsdatum:
05.04.2024

Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | Der Nachmittag | 05.04.2024 | 16:40 Uhr

Schlagwörter zu diesem Artikel

Rock und Pop

Eine Grafik zeigt einen Lorbeerkranz auf einem Podest vor einem roten Hintergrund. © NDR

Legenden von nebenan: Wer hat Ihren Ort geprägt?

NDR Kultur erzählt die Geschichte von Menschen, die in ihrer Umgebung bleibende Spuren hinterlassen haben - und setzt ihnen ein virtuelles Denkmal. mehr

Hände halten ein Smartphone auf dem der News-Channel von NDR Kultur zusehen ist © NDR.de

WhatsApp-Channel von NDR Kultur: So funktioniert's

Die Kultur Top-News aus Norddeutschland direkt aufs Smartphone: NDR Kultur ist bei WhatsApp mit einem eigenen Kanal aktiv. mehr

Der Arm einer Frau bedient einen Laptop, der auf einem Tisch in einem Garten steht, während die andere Hand einen Becher hält. © picture alliance / Westend61 | Svetlana Karner

Abonnieren Sie den NDR Kultur Newsletter

NDR Kultur informiert alle Kulturinteressierten mit einem E-Mail-Newsletter über herausragende Sendungen, Veranstaltungen und die Angebote der Kulturpartner. Melden Sie sich hier an! mehr

NDR Kultur App Bewerbung © NDR Kultur

Die NDR Kultur App - kostenlos im Store!

NDR Kultur können Sie jetzt immer bei sich haben - Livestream, exklusive Gewinnspiele und der direkte Draht ins Studio mit dem Messenger. mehr

Porträt von Philipp Schmid © NDR Foto: Sinje Hasheider

Philipps Playlist

Philipp Schmid kennt für jede Lebenslage die richtige Musik. Egal ob Pop, Klassik oder Jazz. Träumt Euch zusammen mit ihm aus dem Alltag! mehr

Peter Urban © NDR Foto: Andreas Rehmann

Urban Pop - Musiktalk mit Peter Urban

Spannende Stories, legendäre Konzerte, bewegende Begegnungen: Peter Urban hat viel erlebt und noch mehr zu erzählen. mehr

Mehr Kultur

Ein Sänger steht auf einer Bühne, hält in einer Hand das Mikrofon und die andere ist nach oben gestreckt. © picture alliance / Gonzales Photo/Nikolaj Bransholm Foto: Gonzales Photo/Nikolaj Bransholm

Hurricane Festival: The Prodigy, Apache 207 und Sam Fender kommen 2025

Die englische Elektro-Punk-Band The Prodigy und ein Who-is-Who der deutschen Pop- und HipHop-Szene haben sich für 2025 angekündigt. mehr

Das Logo von #NDRfragt auf blauem Hintergrund. © NDR

Umfrage zum Fachkräftemangel: Müssen wir alle länger arbeiten?