Maxim Billers Album "Studio": "Es braucht mehr Schriftsteller, die singen"
Maxim Biller ist der Öffentlichkeit bislang vor allem als Schriftsteller und Literaturkritiker bekannt. Jetzt hat er ein Album rausgebracht. Sollten Schriftsteller singen? Einschätzungen von NDR Kultur Literaturredakteur Alexander Solloch.
Maxim Biller hat große, gefeierte und umstrittene Romane geschrieben: "Esra", "Sechs Koffer" und zuletzt "Mama Odessa". Zwischendurch war er Kritiker beim "Literarischen Quartett". Und jetzt - macht er plötzlich Musik! Der berühmte Schriftsteller hat allerdings nicht plötzlich angefangen mit der Musik: Schon vor 20 Jahren hat er ein Album vorgelegt und danach angekündigt, da komme bald noch mehr. Weil dann in dieser Hinsicht ganz lange gar nichts passiert ist, hat die Öffentlichkeit das wieder vergessen und ihn stattdessen ganz und gar als Schriftsteller abgespeichert.
Die Frage, die man sich vielleicht zuallererst stellt: Sollten Schriftsteller unbedingt in der Öffentlichkeit musizieren? Kann man das gutheißen?
Alexander Solloch: Ja klar. Solange sie was können: auf jeden Fall. Und selbst wenn sie's nicht können, ist es erstens aus lebenskünstlerischer Perspektive sehr wertvoll, wenn sie neben dem qualvollen Beschriften eines weißen Blatts Papier auch noch etwas tun, was ihnen wirklich Spaß macht. Zweitens muss man sich in Zeiten des Musikstreamings sowieso nicht besonders aufregen, falls man die musikalischen Bemühungen eines Schriftstellers oder Klempners oder Steuerprüfers nicht so schätzt - es werden ja nicht einmal mehr nennenswerte Ressourcen verbraucht. Wobei man im Falle von Maxim Biller sagen muss: Natürlich stehen seine Lieder auch digital bei den üblichen Diensten zur Verfügung, aber darüber hinaus hat er sie, in kleiner Auflage, sehr aufwendig als Schallplatte produzieren lassen - für Liebhaber sozusagen.
Maxim Biller komponiert wunderschöne Lieder, die überhaupt keinen Schaden von dem Umstand davontragen, dass er Schriftsteller ist. Wie ja überhaupt mal zu fragen wäre, warum Literaten eigentlich so selten Lieder singen? Den umgekehrten Fall haben wir oft, sogar beklagenswert oft: Musiker, die plötzlich meinen, einen Roman schreiben zu müssen. Abgesehen von Sven Regener wüsste ich eigentlich keinen Fall zu nennen, in dem das in den letzten Jahren gutgegangen wäre. Aber Schriftsteller, die doch ohnehin hauptberuflich die Worte auf ihren Lippen und zwischen ihren Fingern tanzen lassen, die doch ohne Musikalität keinen schönen Satz schreiben könnten - warum singen sie so selten? Was dann ein Buch wird, wäre in manch einem Fall vielleicht tatsächlich sogar eher das bessere Lied. Aber Maxim Biller ist einfach ein Ganzkörperkünstler, sowohl mit den schreibenden Fingern als auch mit dem singenden oder sprechsingenden Mund.
Das Lied, "Herr Minister", klingt ja rein musikalisch ziemlich lässig. Was macht Maxim Biller da eigentlich genau, und wie macht er es?
Solloch: Ich glaube, er summt sowieso den ganzen Tag vor sich hin. Wenn man das macht, dann kommt ganz von allein irgendwann auch mal ein Gesumme, von dem man denkt: oh, das hat Tempo, das hat Groove, das erzählt eine Geschichte, daraus kann was werden. Biller selbst, gerade 64 geworden und nach eigener Darstellung ein "eingefrorener und wieder aufgetauter Singer-Songwriter aus den 70ern", sagt, es passiert in der Küche oder am Klavier. Da kommen ihm die Einfälle, und wenn er nicht zu faul ist, also sehr gelegentlich, dann denkt er sich auch einen Text dazu aus, und dann hat die Idee eine Chance, zum Lied zu werden. Für dieses Album nun hat er sich mit dem Berliner Multi-Instrumentalisten Malakoff Kowalski zusammengetan, der die von Biller komponierten und gedichteten Lieder arrangiert und fast alle Instrumente eingespielt hat: Gitarre, Bass, Klavier, Rhodes, Orgel, Vibraphon, Mundharmonika, Percussion, das ist schon erstklassige und in der Tat sehr entspannt klingende Musik mit aber ganz viel Spektakel in den Details und gehörigem Ohrwurm-Potential.
Die Entscheidung, sich mit einem Top-Profi zusammenschließen, war auf jeden Fall sehr segensreich für dieses Projekt. Ja, und dann ist da eben Maxim Biller: Biller summt, und Biller brummt, und Biller seufzt, und Biller ächzt, das alles sehr cool und sehr verletzlich mit einer rauen, beinahe heiseren, zerbrechlichen Stimme, die gemacht ist aus Verzweiflung, Lakonie, Sarkasmus und Nikotin. Aber singt Maxim Biller auch? In einem anderen Stück fängt er das Singen beinahe an, weil die existenzielle Dramatik der Geschichte, die er da erzählt, das erfordert, aber sonst fühlt er sich sehr aufgehoben in seiner vokalen Zurückgenommenheit, und ich als Hörer fühle mich auch sehr aufgehoben, wenngleich es diese Momente gibt, in denen ich denke: Ach, wenn er auch mal so ganz und gar und radikal pathetisch aus sich herausginge - das könnte, allein schon aus Gründen der Abwechslung, auch ganz aufregend sein.
Vor langer Zeit hat Maxim Biller mal gesagt: "Ich achte bei Liedern nie auf die Texte. Nichts finde ich bescheuerter als Songtexte." Siehst Du das ähnlich, oder hast du doch auch ein bisschen auf Billers Texte geachtet?
Solloch: Ja, das ist eben Maxim Biller: Common Sense findet er langweilig, und Langeweile hält er für das fürchterlichste Menschenschicksal überhaupt. Deswegen sagt er manchmal so Dinge, die einen, gelinde gesagt, verwundern, die aber auch Spaß machen. So kennen wir ihn als Kritiker, so kennen wir ihn als Befeuerer literarischer Debatten - und jetzt eben das: apodiktisch deklariert er, Songtexte seien blöd, und schreibt fabelhafte Songtexte. Lustigerweise sind die Lieder so abgemischt, dass man hier und da auch leichte Mühe hat, sie rein akustisch zu verstehen, als wär' es so gewollt. Aber natürlich habe ich trotzdem hingehört, ist ja wohl selbstverständlich, wenn da jemand in der Muttersprache singt und - anders als die meisten - ohne banalen Quark und ohne schlechte Reime auskommt.
Biller erzählt von Menschen, die füreinander keine Sprache finden, von Beziehungen, die nicht klappen, von glücklichem Sex und unglücklicher Liebe, von machtgeilen Potentaten, die eines Tages verschwinden (also fast utopisch), von unserem Leiden an der Welt mit dem wundervoll beiläufig vorgetragenen Klagegesang: "Warum hat Gott mich so hässlich gemacht, / so verzagt und so schwach / Ideen hab ich viele / In meinem Kopf herrscht aber immer nur Krach." Und dann das poetisch sicherlich durchschüttelndste Stück, "6 uhr 30", "Will ich lachen, weine ich Tränen aus Stein", sing er, und im Hintergrund spielen sich die entsetzlichen Geschehnisse des 7. Oktober ab. Also - Trauer, Wut, Wehmut, Witz, bitterer Witz, bilden den musikalischen Kosmos Maxim Billers.
Das Gespräch führte Philipp Schmid.