Malakoff Kowalski präsentiert "Piano Aphorisms"
Seine Eltern wurden in Teheran geboren, er selbst in Boston. Aufgewachsen ist er in Hamburg, heute lebt er in Berlin: Für den Pianisten und Komponisten Malakoff Kowalski gibt es nichts Wichtigeres als die Musik. Sein Instrument sieht er nicht als passives Gegenüber. Ein Flügel ist für ihn vielmehr wie ein Mensch, mit dem man sich auseinandersetzen muss. Malakoff Kowalski tat dies auf eine ungewöhnliche Art: Er schloss sich monatelang in seinem Studio ein und schlief auf einer Luftmatratze unter dem Flügel. Herausgekommen bei dieser künstlerischen Weltflucht ist sein sechstes Soloalbum "Piano Aphorisms". Vor wenigen Wochen wurde bekannt gegeben, dass es beim diesjährigen Opus Klassik nominiert ist für die Kategorie "Klassik ohne Grenzen". Am 22. Juni 2022 hat Kowalski es live bei NDR Kultur EXTRA präsentiert.
"Piano Aphorisms" heißt dein neues Album, und deswegen habe ich jetzt auch einen Aphorismus mitgebracht, über den wir gleich reden können. Ich würde sagen, der ist in Musiker*innen-Kreisen einer der berühmtesten. Und zwar ist er von Stefan Zweig. Der hat gesagt: "Auch die Pausen machen die Musik." Würdest du dem zustimmen?
Malakoff Kowalski: Das kannte ich nicht von Stefan Zweig. Aber natürlich ist das das Entscheidende. Denn eine Pause bedeutet, dass vorher was passiert ist und dass nachher etwas passiert. Das Vorher und das Nachher definiert sich nur durch den Raum dazwischen. Es gibt viele Dirigenten, die irrsinnige Angst vor Pausen haben. Die reden in Interviews darüber, dass sie die wahnsinnigsten Dinge dirigieren. Und dann gibt es diesen Moment, wo es einfach für ein paar Schläge eine Stille gibt, Und die haben Schweißausbrüche deswegen. Karajan hat erstaunliche Dinge erzählt. Pausen sind gewissermaßen der Puls, denn die Pausen machen natürlich auch Rhythmus. Eine Pause macht sehr viel Musik.
Manchmal habe ich auch das Gefühl, es ist im Alltag gar nicht so leicht, sich diese wichtigen Pausen zu nehmen. Du hast in letzter Zeit ziemlich viel veröffentlicht, neben deinem neuen Album auch noch den Soundtrack zu Leander Haußmanns Stasi-Komödie. Bist du gut im Pause machen?
Kowalski: Nein, überhaupt nicht. Ich bin heute das erste Mal seit vielen Monaten in dem Zustand keiner unermesslichen Erschöpfung. Das ist sehr angenehm. Ich bin sehr schlecht mit Pausen. Ich arbeite bis zur Besinnungslosigkeit und das tut mir nicht gut. Vielleicht komme ich jetzt zum ersten Mal darauf, während wir reden. Aber es könnte sein, dass diese Sehnsucht nach Pause, nach Stille und nach Räumen, in denen nichts passiert und die losgelöst sind, diese Suche danach, diese Sehnsucht, die lebe ich vielleicht in der Musik aus, weil ich mir das im echten Leben kaum zugestehe.
Wie ist es zu deinem neuen Album "Piano Aphorisms" gekommen?
Kowalski: Ich wurde das im Vorfeld der Sendung mal gefragt und habe geantwortet: Überleben. Es gibt eine Dokumentation über Leonard Cohen, wo er gefragt wird, was bedeutet Erfolg für dich? Und er sagt 'Survival'. Und dann erklärt er, dass das das Entscheidende ist und das habe ich aufgegriffen. Überleben heißt, als Künstler etwas zu veröffentlichen und danach das Gefühl zu haben, da ist noch mehr. Nach den letzten zwei Klavierplatten, 'My first Piano' und 'Onomatopoetika', liegt es nicht unbedingt auf der Hand, noch eine Klavierplatte zu machen. Es gab aber erfreulicherweise etwas zu sagen, und es ist immer erstaunlich, wenn es was gibt. Es fängt meist mit einem Akkord an, mit einem kleinen Motiv. Und dann merkt man: Oh Gott, da ist was. Das ist wie eine Begegnung mit einem Menschen. Man sieht einen Menschen und denkt, ich hätte Lust noch zwei Sätze mehr zu sprechen. Und manchmal wird eben mehr daraus.
Wie bist du mit dem Klavier in Berührung gekommen?
Kowalski: Meine ersten Erinnerungen ans Klavier sind die Erinnerungen an meine Mutter, sie war Pianistin. Ich kenne das Klavier wahrscheinlich besser als ihre Brust, weil ich mehr mit dem Klavier zu tun hatte, als mit dem Ernährtwerden. Ich saß immer unter ihrem Klavierhocker, das war hier in Hamburg. Ich bin Boston geboren, meine Eltern sind Perser und ich bin in Bergedorf aufgewachsen. Dort stand ein Klavierhocker, den mein Vater für meine Mutter selbst angefertigt hat. Unter diesem Hocker war ich immer, und ich weiß, es war sehr kuschelig dort, er hatte eine Querstrebe, da konnte man als kleiner Junge gut liegen. Dort hatte man direkt auch das Gefühl von Schutz. Man ist sehr geschützt, es ist ein bisschen wie eine Höhle. Dazu hat meine Mutter immer romantische Musik gespielt und das prägt wahrscheinlich.
Ich glaube, du hast dich für dein neues Album in eine ähnliche Position begeben. Du hast dir den Flügel vermehrt von unten angeschaut. Warum?
Kowalski: Diese Parallele zu der kindlichen Gewohnheit, unter dem Klavierhocker Zeit zu verbringen und meiner Mutter zu zuhören, ist mir noch nie aufgefallen. Es ist nicht vorgesehen, dass unter dem Flügel jemand liegt oder sitzt. Ich habe mich ins Studio eingeschlossen und diese Klavier-Aphorismen begonnen zu schreiben und wollte sie auch direkt aufnehmen. Ich wollte das Studio nicht mehr verlassen und es war nicht furchtbar viel Platz. Ich habe mir zum ersten Mal in meinem Leben eine Luftmatratze und einen Schlafsack im Abenteuer-Zubehörgeschäft gekauft. Dann wusste ich gar nicht, wo ich das hin tun soll. Ich war ein bisschen überfordert mit der Situation und unter dem Flügel war Platz. Dann habe ich da erst mal die Luftmatratze hingeschoben. Den ersten Abend war es spät, so vier oder fünf Uhr morgens und ich dachte, schlafen wäre nicht schlecht. Ich wollte nicht mehr nach Hause, wollte dieses Studio für ein paar Monate einfach nicht mehr verlassen. Da habe ich mich einfach da hingelegt, weil es so praktisch war. Dabei habe ich gemerkt, der Flügel sieht von unten wirklich ganz anders aus. Das war ein Perspektivwechsel. Am Ende hätte ich das auch einfach mit zwei Worten erklären können.
Das Interview führte Charlotte Oelschlegel.