Studie: Erhöhtes Depressionsrisiko bei Musikern festgestellt
Laut einer Studie des Max-Planck-Instituts in Frankfurt haben Musiker*innen statistisch gesehen ein höheres Risiko, psychisch zu erkranken. Ein Gespräch mit der Verhaltensgenetikerin Miriam Mosing.
Frau Mosing, Sie haben die Studie geleitet. Wie sind Sie auf die Idee gekommen, diesen Zusammenhang herauszufinden?
Miriam Mosing: Einerseits wird immer wieder über den positiven Effekt von Musik auf die Psyche gesprochen. Die meisten musikalisch aktiven Menschen werden wahrscheinlich sagen, dass es ihnen gut tut, ihr Instrument zu spielen. Es gibt sogar Musiktherapie. Man hört aber gleichzeitig in den Medien immer wieder von Drogenmissbrauch, von psychischen Problemen und sogar von Selbstmorden in der Musikbranche. Musik selber handelt oft auch von traurigen Themen. Wir haben uns irgendwann gefragt, wie dieser Zusammenhang eigentlich ist.
Wie sind Sie vorgegangen, um belastbare Ergebnisse zu erzielen?
Mosing: Wir haben rund 10.500 schwedische Teilnehmer*innen über ihr musikalisches Engagement und ihr psychisches Wohlbefinden befragt. Zusätzlich konnten wir diese Daten mit dem schwedischen Patientenregister verknüpfen, sodass wir auch psychiatrische Diagnosen, die man irgendwann im Leben bekommen hat, auswerten konnten. Ungefähr die Hälfte der Teilnehmer*innen hat uns auch ihre genetische Information, ihre DNA zur Verfügung gestellt. Basierend darauf konnten wir dann individuelle Indikatoren für die genetische Veranlagung der Teilnehmer*innen für sowohl psychische Erkrankungen als auch für Musikalität berechnen. Zu unserer Überraschung kam dabei heraus, dass musikalisch aktive Teilnehmer*innen häufiger über Depressionen, Burn-out und psychotische Symptome berichteten als Teilnehmer*innen, die keine Musik machen.
Sprechen wir hier nur von professionellen Musikerinnen und Musikern?
Mosing: Nein, hier sprechen wir durch die Bank. Wir haben sowohl Leute, die gar nicht musikalisch aktiv sind, als auch Menschen, die ein bisschen spielen, und auch Leute, die professionell spielen oder sogar auch öffentlich auftreten.
Wo ist der Zusammenhang zwischen psychischen Erkrankungen, Depressionen und Musik?
Mosing: Das war dann unsere nächste Frage. Ist dieser Zusammenhang tatsächlich kausal? Führt Musizieren dazu, dass es uns mental schlechter geht? Oder ist es so, dass wir musizieren, weil es uns vielleicht psychisch nicht so gut geht? Wir haben dann anhand der Daten gesehen, dass Menschen, die musikalisch aktiv sind, ein höheres genetisches Risiko für Depressionen und bipolare Störungen haben und dass dieser Zusammenhang unabhängig davon ist, ob die Studienteilnehmer*innen tatsächlich unter mentalen Problemen litten. Zusätzlich konnten wir zeigen, dass Teilnehmer*innen, die unter psychischen Problemen litten, im Durchschnitt eine etwas höhere genetische Veranlagung zu Musikalität besaßen. Wieder war dieser Zusammenhang unabhängig davon, ob die Teilnehmer*innen tatsächlich ein Instrument spielen. Das zeigt, dass dieser Zusammenhang extrem komplex ist, aber dass es sich hier wahrscheinlich nicht um einen kausalen Zusammenhang handelt, sondern dass teilweise dieselben Gene sowohl Musikalität als auch das Risiko für psychische Probleme beeinflussen.
Das heißt, in irgendeiner Weise gibt es genetisch einen Zusammenhang zwischen der Prädisposition für psychische Erkrankungen und Musikalität. Wie kann man sich das erklären?
Mosing: Man weiß inzwischen, dass sowohl Musikalität als auch psychische Probleme teilweise genetisch beeinflusst sind. Aber man muss auch berücksichtigen, dass es viele andere Einflüsse auf beides, sowohl Musikalität als auch psychische Probleme, gibt.
Haben Sie die Laien von den Profis getrennt, um herauszufinden, ob es nicht einen Zusammenhang zwischen dem professionellen Musikertum und psychischen Erkrankungen gibt?
Mosing: Ja, aber wir haben nicht gesehen, dass sich professionelle Musiker sehr von Hobbymusikern unterschieden. Das sind eher Umweltfaktoren: Professionelle Musiker stehen unter sehr viel mehr Stress und Druck und haben dadurch ein höheres Risiko, psychische Probleme zu entwickeln. Aber sie haben kein höheres genetisches Risiko als Hobbymusiker.
Und könnte es sein, dass Menschen, die zu psychischen Problemen neigen, besonders gern musikalisch aktiv sind?
Mosing: Ja, das ist wahrscheinlich diese genetische Prädisposition, die sich dadurch ausdrückt, dass man dieses musikalische Interesse hat.
Würden Sie Musikerinnen und Musikern den Rat geben, dass sie in Bezug auf ihr Inneres, zum Beispiel auf eine Depression, besonders gründlich in sich hineinhorchen sollten?
Mosing: Unsere Studie ist eine Populationsstudie. Worüber wir Aussagen machen können, ist nur, was der Fall in der Population ist, und nicht wirklich, was passieren würde, wenn man in natürliches Verhalten eingreift. Ich würde sagen, dass jeder in sich hineinhorchen sollte, ob er Depression hat oder nicht und sich behandeln lassen sollte, wenn er Probleme hat.
Das Interview führte Mischa Kreiskott.