Olivia Hyunsin Kim bringt neue Perspektiven nach Hannover
Die Choreografin und Performerin Olivia Hyunsin Kim ist in dieser Spielzeit Composer in Residence an der Staatsoper Hannover. Sie soll dazu beitragen, innovatives Musiktheater für eine diverse Stadtgesellschaft zu entwickeln.
Probe auf der leeren Bühne des Ballhofs Eins in Hannover. Das koreanische Performance-Kollektiv Nolplus übt seinen Auftritt. Die Mitglieder spielen Kkwaenggwari und Janggu, einen kleinen Gong und eine doppelfellige Trommel mit einem sanduhrgleichen Korpus aus Korea. Dazu schwenken sie dünne Bänder im Kreis; ein Auftritt, mit dem Olivia Hyunsin Kim zum Nachdenken über Kategorien wie europäisch und asiatisch anregen will. Sind sie überflüssig?
"Es ist interessanter, wenn wir einen Menschen so kennenlernen, wie der Mensch sich gibt, als sofort in Schubladen zu denken", sagt Olivia Hyunsin Kim. "Aber leider passiert das oft. Zum Beispiel: Bei mir wird oft gedacht, ich kann kein Deutsch sprechen. Ich wäre fremd in diesem Land. Aber eigentlich bin ich ja hier geboren. Ich finde es spannender, tatsächlich nicht auf Klischees zurückzugreifen oder Vorurteile, sondern die zu reflektieren und ein Treffen von außerhalb zu ermöglichen."
Einflüsse aus der Popkultur der 1990er-Jahre
Olivia Hyunsin Kim bespricht die Choreografie mit dem Ensemble in der Sprache ihrer aus Südkorea stammenden Eltern. Geboren ist sie 1987 in Siegen. In Honolulu studierte sie hawaiianischen Tanz und Theater, anschließend zeitgenössischen Tanz, Choreografie und Performance unter anderem in Berlin und Falmouth in Großbritannien.
Musikalisch geprägt habe sie die Musik der 1990er-Jahre durch Sender wie VIVA und MTV - nicht zuletzt, weil ihre Mutter dafür ein Faible hatte: "Ich benutze sehr viel Popkultur in meinen Stücken, weil ich denke, es gibt viel Zeitgenössisches reflektiert in der Popkultur - vielleicht mehr als andere Musikformen", erzählt Olivia Hyunsin Kim. "Das finde ich spannend. Deswegen greife ich oft auf Popkultur zurück und versuche, sie so in meinen Stücken zu nutzen, dass sie 'die Norm' hinterfragen können, die Muster, in denen wir denken 'ach, das war doch schon immer so', und das aufbrechen."
Olivia Hyunsin Kim: Hinterfragen von Normen und Orten
Die Norm aus einer feministischen und postkolonialen Perspektive zu hinterfragen, ist Olivia Hyunsin Kim ein Anliegen. In ihren Performances behandelt sie gesellschaftliche Themen wie Mutterschaft oder körperliche Formen des Protests. In Hannover nähert sie sich der Opernwelt, indem sie Ensemblemitglieder der Staatsoper Hannover befragt oder eine interaktive Führung in Kooperation mit queeren und migrantisch geprägten Menschen über den Platz vor dem Ballhof-Theater veranstaltet.
"Es gibt die Geschichte vom Ballhof, dass die Hitlerjugend hier drin war, und die Mitarbeiter:innen vom Theater wissen das. Aber wenn ich mit Menschen spreche, wissen das nicht viele, die vorbeigehen am Ballhof, dass es so eine Vergangenheit gab", erklärt Olivia Hyunsin Kim. "Zeitgleich gab es auch verschiedene migrantische Communitys, die sich hier angesiedelt haben und das wollen wir noch mal reflektieren. Für mich ist es wichtig: Wenn ich an einen Ort komme, hinterfrage ich diesen Ort."
Composer in Residence bringt neue Perspektiven nach Hannover
Auf den ersten Blick hat diese Herangehensweise wenig mit den klassischen Angeboten der Staatsoper Hannover zu tun. Doch sie bringt neue Perspektiven und Stimmen in ein Musiktheater, das klassisch europäisch geprägt ist. Und das könnte am Ende tatsächlich neue Gruppen für die alte Kunstform öffnen und diversere Teile der Stadtgesellschaft ansprechen.