Neues Album vom Boulanger Trio: "Who’s afraid of…?"

Stand: 18.10.2024 11:59 Uhr

Im Unterschied zu ihren männlichen Kollegen hatten es Komponistinnen in den vergangenen Jahrhunderten deutlich schwerer: Frauen wurden im zumeist männlich dominierten Musikgeschäft oft nicht ernst genommen oder standen im Schatten ihrer komponierenden Angehörigen.

von Friederike Westerhaus

Fanny Hensel, die Schwester von Felix Mendelssohn Bartholdy, ist ein berühmtes Beispiel. Sie ist eine der Komponistinnen aus fünf Jahrhunderten, denen sich das Ensemble auf seinem neuen Album "Who's afraid of...?" widmet. Die Spanne reicht von Alter Musik (Vittoria Aleotti) über Romantik (Fanny Hensel) bis in die Gegenwart (Kate Bush). Die drei Künstlerinnen - Karla Haltenwanger, Birgit Erz und Illona Kindt - spielen in dieser Besetzung seit fast 20 Jahren zusammen. Gemeinsam bilden sie eines der vielseitigsten Klaviertrios des Landes. Bei NDR Kultur EXTRA stellen sie ihr neues Album vor und erzählen aus dem Leben ihrer Lieblingskomponistinnen.

Ihr habt Musik von Komponistinnen aus verschiedenen Jahrhunderten ausgesucht und damit einen Bogen über 450 Jahre gespannt, von der Barockzeit bis heute. Was verbindet denn diese ganz unterschiedlichen Frauen miteinander?

Birgit Erz: Diese Frauen verbindet tatsächlich, dass sie überhaupt komponieren durften, konnten und vielleicht auch wollten. Und dass ihre Werke veröffentlicht wurden und wir sie jetzt spielen können und die Noten haben.

Drei Frauen stehen lächelnd nebeneinander. © Ekaterina Shurygina / NDR Foto: Ekaterina Shurygina / NDR
AUDIO: Boulanger Trio: Who's afraid of…? (55 Min)

Karla, was hat euch grundsätzlich an diesem Thema interessiert? Klingt für euch Musik von Frauen anders als die von Männern? Was war es, was euch angezogen hat?

Karla Haltenwanger: Ich finde, dass die Musik von Komponistinnen gar nicht anders klingt als die von Komponisten. Es ist sehr spannend, die jeweilige Musiksprache kennenzulernen, die man im Studium oder auch später nicht kennengelernt hat. Man begibt sich sozusagen ein bisschen auf Neuland, weil man gar nicht weiß, ob es eine Hörerfahrung oder eine Tradition gibt, wie man diese Musik gespielt oder über die Jahrhunderte interpretiert hat. Wir haben hinter die Noten geblickt und versucht, dieser musikalischen Sprache auf Grund zu gehen. Das ist besonders schön, wenn man diese Welt entdeckt, die diese Frauen erlebt haben. Es ist wie eine Zeitkapsel, die man durch die Noten und durch diese Musik bekommt. Das versetzt einen zurück in die Zeit von Barbara Strozzi und die Renaissance. Außerdem ist uns aufgefallen, wie modern sie für ihre Zeit damals waren. Sie haben romantisch gedacht und unglaubliche Gefühle und Emotionen transportiert.

Lili und Nadia Boulanger sind Schwestern und auch der Grund für euren Trio-Namen. Was zieht euch an dieser Musik von den beiden so an?

Erz: Wir suchten nach einem Namen, der uns etwas bedeutet und mit dem wir uns identifizieren können. Als wir uns vor fast 20 Jahren kennenlernten, hatte Karla Stücke von Lili Boulanger für Klavier und Querflöte gespielt. Sie meinte damals: "Die ist toll, hört euch mal die Musik an." Wir stellten fest, dass es zwei damals noch nicht verlegte kleine Klaviertrio-Stücke gab. Wir haben uns auf die Suche nach den Noten gemacht und einen Vorabdruck beim Durand Verlag in Frankreich bekommen. Seitdem begleiten diese Stücke uns sehr intensiv. Wir dachten, die Musik muss viel bekannter werden, sie ist so tief, intensiv und so reich - und viel zu selten gespielt. Das ist eine Tonsprache, die es sonst gar nicht gibt, das ist eine ganz eigene Sprache. Sie ist unheimlich intellektuell und komplex, farbenreich und trotzdem emotional. Diese Tiefe, die diese Frau geschafft hat in Noten zu übersetzen, ist für uns unglaublich. Obwohl Lili Boulanger im Alter von 24 Jahren gestorben ist. Das berührt uns jedes Mal wieder beim Spielen.

Inwieweit würdet ihr sagen, dass Lili und Nadia Boulanger Vorreiterinnen für die Musik waren und auch für die Frauen damals?

Haltenwanger: Sie haben unglaublich viel Harmonielehre studiert und haben sich mit ihren Kollegen sehr intensiv beschäftigt und ausgetauscht. Gabriel Fauré ging bei ihnen ein und aus. Sie verehrten beide Debussy und seine Musik und auch seine Beschäftigung mit den Symbolisten. Das hat Lili Boulanger zu diesem Liederzyklus inspiriert. Ich glaube, dass es damals unglaublich war, wie sehr sie in die Musik eingetaucht sind und ausschließlich für die Musik gelebt haben. Es ist faszinierend nachzulesen, wie die beiden sich gegenseitig unterrichtet und sich Stücke hin- und hergeschoben haben. Sie haben meistens am gleichen Thema komponiert, dabei sind wirklich ganz tolle Kompositionen herausgekommen.

Das Gespräch führte Friederike Westerhaus.

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Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | NDR Kultur EXTRA | 16.10.2024 | 13:00 Uhr

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