Lorenz Dangel und die Suche nach dem passgenauen Klang
Der Film "September 5" erzählt die Geschichte des Olympia-Attentats von 1972 aus Sicht des US-amerikanischen Fernsehteams von ABC. Die Musik zum Film schrieb der Deutsche Komponist Lorenz Dangel.
So etwas hatten die Sportreporter von ABC sich niemals vorstellen können: Statt über die Wettkämpfe zu berichten, übertragen sie an diesem Septembertag plötzlich einen Terroranschlag. Live. Auch die Spitze des Senders in New York traut den Kollegen diese Aufgabe nicht zu. "Es ist ein wahnsinnig dichter Film - sowohl auf der Leinwand, als auch auf der Tonebene", sagt Lorenz Dangel. "Das hat bei mir Dinge ausgelöst. Ich war mir bewusst darüber, dass meine Musik sehr klar, direkt und trocken sein muss."
Lorenz Dangel: Musik als Stilmittel, das unbemerkt wirkt
Man kämpft um die raren Übertragungskapazitäten der Satelliten, ein Reporter wird als Sportler verkleidet in das olympische Dorf geschleust, man improvisiert eine Nachrichtenlivesendung. "Mit dieser Situation umgehen, Entscheidungen treffen in kürzester Zeit", sagt Dangel: "Was kann man zeigen, was kann man nicht zeigen? Wie recherchiert man?" Die ganze Welt hängt an den Lippen des Sportjournalisten Jim McKay. Der improvisiert seine Moderation in einem beengten Behelfsstudio im Münchener Pressezentrum.
"Das spielt in diesen 70er-Jahre-Studioräumen", erklärt Dangel. "Da ist viel Dreck, da wird geraucht, da ist Staub. Man kann es richtig anfassen." Diese stickige Atmosphäre, den Stress, die Gewissensnöte fängt Lorenz Dangel ein, mit einer Musik, die oft nur unmerklich wirkt: "Ich vergleiche das immer gerne mit einem Alchemisten, der, ohne dass die Zuschauer es merken, seine Drinks mischt und Menschen beeinflusst oder berührt. Wie ein Stilmittel, das wirkt, um eine Geschichte zu erzählen."
Klangexperimente für "September 5"
Auch für die beiden klimaapokalyptischen Dramen von Regisseur Tim Fehlbaum "Hell" von 2012 und "Tides" von 2021 lieferte Lorenz Dangel die Musik. Beide wurden mit dem Deutschen Filmpreis für den besten Soundtrack auszeichnet. Dabei sucht er für jeden Film, den er vertont, immer wieder nach dem richtigen, passgenauen Klang: "Ich mache mir immer den großen Aufwand, dass ich eigentlich immer wieder von Null anfange. Ich verwende oft Perkussionsinstrumente, die gar keine richtigen Instrumente sind. In diesem Fall zum Beispiel habe ich mit metallenen Kleiderbügeln gearbeitet oder ich habe mit einem Tennisball in einem Kochtopf ein Geräusch erzeugt. Solches Material sammle ich dann. Solche Sounds werde ich wahrscheinlich nie wieder in einem anderen Film verwenden. Das ist ein Sound, der gehört einfach zu diesem Film."
Die Jury des Max Ophüls Preises zeichnete Lorenz Dangel schon 2006 für seine erste große Arbeit aus: "Schläfer" von Benjamin Heisenberg. Die Begründung damals: der sparsame Einsatz von Musik. "Ich rede oft mit meinen Regisseuren oder Regisseurinnen und hinterfrage jeden Musikeinsatz: Brauchen wir diese Musik wirklich oder ist es nicht viel stärker, wenn wir das hier weglassen?", erzählt Dangel. Dabei kann er für Bühne und Konzertsaal ganz anders. Er schreibt auch Chormusik, Oper, Ballett oder 2024 ein gewaltiges Werk für das Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks mit Chef Sir Simon Rattle und vier traditionellen Bayerischen Blaskapellen. "Phon" ist ein Stück für insgesamt knapp 300 Musiker.