Darf sie singen? Debatte um Berliner Netrebko-Auftritt
Muss Anna Netrebko sich zum russischen Krieg gegen die Ukraine klarer positionieren? Vor ihrem Auftritt in Berlin am Freitag hatte eine Petition eine Umbesetzung ihrer Rolle gefordert. Zu Recht - oder ist das Cancel Culture?
Im Rahmen der Verdi-Wochen ist Anna Netrebko am Freitag in der Berliner Staatsoper aufgetreten. In der ausverkauften Vorstellung von "Macbeth" hat sie die Rolle der Lady Macbeth gesungen, während vor dem Gebäude eine Gruppe von Menschen protestierte. Schilder wurden hochgehalten, auf denen man Fotos sah: Netrebko mit Putin, Netrebko mit der Separatisten-Fahne. Oder, handgemalt: eine Ballerina mit einer Kalaschnikow um den Hals.
Seit Ende August hatte sich massiver Protest gegen den Auftritt der russisch-österreichischen Opernsängerin geregt. Eine Petition fordert, die Rolle mit einer anderen Künstlerin zu besetzen. Bis Sonnabendmorgen haben mehr als 37.000 Menschen die Petition unterschrieben.
Offener Brief: Unterschriften aus Kultur und Wissenschaft
Seit Montag existiert darüber hinaus ein offener Brief mit der Forderung, "Anna Netrebko keine Bühne zu bieten". Die Rolle der Lady Macbeth solle mit einer anderen Künstlerin besetzt werden. Unterzeichnet haben diesen Brief inzwischen über hundert Unterstützer aus Kultur und Wissenschaft, darunter die Osteuropahistorikerin Franziska Davies, Timothy Snyder, US-amerikanischer Historiker, oder Moritz Eggert, Präsident des Deutschen Komponistenverbandes. Eggert will seine Unterschrift unter den Brief allerdings nicht als eine Forderung nach einem Auftrittsverbot für Netrebko verstanden wissen: "Ich bin nie für ein Auftrittsverbot. Aber man muss sich dem Protest, der sich immer wieder regt, stellen. Man kann nicht immer sagen, ja, das muss man irgendwie differenziert betrachten."
Intendant Schulz: Netrebko auf "pro-ukrainischer Bühne"
Eine Sichtweise, die der Intendant der Staatsoper so nicht verstehen kann. Matthias Schulz verweist auf Anna Netrebkos Statement im März. "Sie hat ein Statement gegeben, wo das Wort Krieg vorkommt - auch gegen die Ukraine, und das haben nicht viele russische Künstlerinnen und Künstler gemacht. Außerdem finden wir es wichtig, dass man zwischen dem Handeln vor und nach Kriegsausbruch sehr klar unterscheidet. Sie ist jetzt nicht mehr in Russland aufgetreten und hat sich auch in unserem Fall für eine pro-ukrainische Bühne entschieden."
Kultursenator Chialo boykottiert Auftritte
Auch die Berliner Kulturpolitik hat sich inzwischen positioniert. Berlins Kultursenator Joe Chialo war der Aufführung ferngeblieben. Gemeinsam mit dem ukrainischen Botschafter in Deutschland, Oleksii Makeiev, hat er am Freitag demonstrativ die Humboldt-Universität besucht, die sich direkt gegenüber der Staatsoper befindet. Dort wird eine Fotodokumentation über die russischen Kriegsverbrechen in der Ukraine gezeigt.
Staatsoper-Intendant Matthias Schulz will der russischen Künstlerin eine Chance geben, wie er sagt. Er habe mit Netrebko gesprochen und sich ein "persönliches Bild von der Authentizität ihrer Aussagen" machen können. Anna Netrebko schweigt bislang öffentlich. Ein öffentliches Gespräch mit der Sängerin würde Schulz zumindest begrüßen, sagt aber auch: "Ob sie sich selbst äußert, das muss man sie selbst fragen. Ich möchte es nicht ausschließen, aber es ist natürlich auch etwas, bei dem sie sich selbst sehr verletzlich fühlt und wo ich mir nicht sicher bin, ob man sie dem aussetzen kann."
Eggert: Netrebko muss sich Kritik stellen
Moritz Eggert vom Komponistenverband glaubt jedoch, dass die Debatte um Netrebko wichtig ist: "Man kann dieser Diskussion nicht immer ausweichen mit blöden Argumenten, 'das ist Cancel Culture' und 'die arme Frau Netrebko'. Das ist Blödsinn! Frau Netrebko ist kein armes Hascherl, das man in Schutz nehmen muss. Das ist eine gestandene Frau, die ziemlich genau weiß, was sie macht. Die muss sich auch einer Kritik stellen können", meint Eggert. Aufklären über ihre eigene politische Position kann letztlich nur Anna Netrebko selbst. Darin sind sich Moritz Eggert und Matthias Schulz zumindest einig.