Komponierter Jazz: Frank Dupree Trio spielt Nikolai Kapustin
Im Werk des ukrainisch-russischen Komponisten Nikolai Kapustin finden sich Elemente aus Jazz und Klassik, doch alles ist notiert. Wie das zusammenpasst und inwiefern das Frank Dupree Trio dann doch etwas improvisiert, erzählen die drei im Gespräch bei NDR Kultur Extra.
Nikolai Kapustin (1937-2020) war ein Grenzgänger par excellence. Als virtuoser Jazzpianist machte sich der gebürtige Ukrainer bereits in den 1950er Jahren einen Namen. Er selbst wollte vor allem als Komponist wahrgenommen werden. Auch das gelang ihm, wenn auch spät. Seine 20 Klaviersonaten und sechs Klavierkonzerte sind in den vergangenen beiden Jahrzehnten von vielen Musikerinnen und Musikern entdeckt und teilweise aufgeführt worden. In Deutschland zum Beispiel von dem jungen Pianisten Frank Dupree und seinem Trio. Kapustin hat Solostellen so notiert, dass sie wie improvisiert klingen - sozusagen komponierter Jazz. Wie geschaffen für das hochdynamische Frank Dupree Trio! Bei NDR Kultur EXTRA hat es außerdem Werke von Leonard Bernstein und Duke Ellington gespielt.
Kapustin ist ein faszinierender Komponist, denn er bewegt sich nicht nur auf der Seite des Jazz, sondern er war auch klassisch ausgebildet. Kann man von einer Schnittstelle sprechen oder wie würdest du ihn beschreiben, Frank?
Frank Dupree: Es gibt ganz viele Überschneidungen, aber auch Neuerungen. Denn das Klassische daran ist eigentlich nur die Notation. Kapustin schreibt jede Note auf. Es ist alles ganz genau notiert, damit es auch wie Jazz klingt. Deshalb muss man auch sehen, wie ich einen Notentext so frei gestaltet bekomme, dass ich im Detail bin. Beim Feeling ist der Groove entscheidend, man muss schauen, was das Drumset und der Bass machen und dann kann ich gucken, wie ich zum Beispiel den Swing gestalten kann. Denn den kann ich nicht genau so spielen, wie es notiert ist, sondern ich muss mal früher oder später reingehen und mal Akzente setzen.
Ich finde den Notentext von Kapustin spannend, weil er ganz viele Inspirationen erlaubt und keine Improvisationen. So ähnlich gehe ich auch bei einem Brahms-Klavierstück vor. Da muss ich zwischen den Zeilen lesen. Wo darf ich etwas mehr Rubato gestalten, wo weniger? (Anm. d. Red: Rubato steht dafür, dass man das Tempo und den Ausdruck der Musik frei variieren darf). Wo muss ich im Tempo bleiben? Wo sind die Akzente? Wohin geht die Melodie? Genauso gehe ich auch bei Nikolai Kapustins Stücken vor - mit dem Unterschied, dass es vielmehr Synkopen und Jazzharmonien gibt und eine haarsträubende und extrem komplizierte Rhythmik.
Die gesamte Musik von Kapustin ist sehr virtuos. Frank, du sagst, bei Kapustin ist alles ausnotiert. Da fragt man sich sofort, warum er das macht? Warum hat er es nicht einfach bei Improvisationen belassen?
Dupree: Er hat als Komponist und als er jung war seine eigene Sprache gesucht und zwar durch den Jazz, den er im Radio oder auf Schallplatten gehört hat. Er hat in Moskau am Tschaikowsky-Konservatorium studiert und stammt aus der Ukraine. Kapustin hat nie einen Fuß auf amerikanischen Boden gesetzt. Seine Musik klingt nicht nach sowjetischer Jazzmusik, die klingt nach dem Original, wie man den Jazz aus den USA kennt. Er hat diese Jazzsprache perfektioniert und gekonnt. Das ist das Spannende. Viele Komponistinnen und Komponisten sagen das auch. Die Kunst ist bei ihm, seine Vorstellung aufs Papier zu bringen, ohne dass dabei etwas verloren geht. Ich finde, er meistert das wirklich hervorragend.
Nun schreibt er das alles auf, auf der anderen Seite bearbeitet ihr es für euer Jazz Trio. Wie viele Freiheiten nehmt ihr euch raus? Wie sehr bringt ihr doch Improvisationen mit rein, Obi?
Obi Jenne: Frank beschäftigt sich mit diesen unglaublich virtuosen Notentexten. Er kämpft nicht, sondern geht spielerisch und traumwandlerisch damit um. Das Schöne ist beim Drumset, dass ich die Freiheiten habe. Ich habe früher in meiner Jugend sehr viel Klavier gespielt und kann mich in dieses Instrument reindenken. Frank hat in seiner Kindheit und Jugend sogar noch mehr Schlagzeug und Drumset gespielt, als ich Klavier gespielt habe. Er wurde nämlich neben dem Klavier auch als Schlagzeuger ausgebildet. Das heißt, wir haben eine fantastische Art, miteinander herauszufinden, in welches musikalische Genre wir eigentlich diese einzelnen Stücke von Nikolai Kapustin einordnen. Wir haben uns so viel Zeit nehmen können und so viel herumprobiert, um genau den richtigen Rahmen zu finden. Die Drumset-Stimmen sind nicht so geschrieben wie eine Klavier-, Bass- oder Klarinettenstimme. Da ist ganz viel Ad libitum mit drin. Das ermöglicht mir wiederum, das Stück immer ähnlich, aber stetig so zu spielen, als würde ich improvisieren. Ein Stück weit tue ich das auch.
Ist die Musik von Kapustin Crossover oder eher nicht?
Dupree: Ich würde es nicht als Crossover bezeichnen. Crossover bedeutet, es kreuzt sich etwas. Und natürlich kommen hier zwei Genres zusammen und verschmelzen miteinander. Nennt man George Gershwin Crossover oder Leonard Bernsteins Musik? Ich glaube, aus klassischer Sicht eher nicht. Es sind gewisse Elemente aus anderen Sphären. Bei Bartók ist es die Folklore und bei Nikolai Kapustin ist es der Jazz und der etwas erweiterte Jazz. Kapustin durchdringt die Struktur und die Harmonie. Ich finde, dass seine Musik erkennbar ist. Wenn man diese Stücke hört, würde man nicht sagen, das ist Oscar Peterson oder Kapustin. Wer schon mal einen Kapustin im Ohr hatte, der wird ihn dann auch wiedererkennen.
Das Gespräch führte Friederike Westerhaus.