Zum Tod von Françoise Hardy: "Sie war schüchtern, aber berührend"
Kaum eine französische Sängerin hat den französischen Chanson so sehr geprägt wie Françoise Hardy. Das Lied "Tous les garçons et les filles" machte sie 1962 weltberühmt. Nun ist sie im Alter von 80 Jahren gestorben. Beate Stender ordnet ein, was die Chanson-Legende so besonders machte.
Eine große Chanson-Legende ist von uns gegangen. Kann man das so sagen?
Beate Stender: Das kann man auf jeden Fall so sagen. Françoise Hardy hat nicht nur große Hits wie "Le Temps De L'amour", "Mon Amie La Rose" und "Comment Te Dire Adieu" gesungen, sondern sie ist auch mit über 30 Studioalben bekannt geworden. Die waren sogar fast alle erfolgreich. Das Interessante an ihr ist, dass sie streng genommen gar nicht als klassische Chansonsängerin gestartet ist: Ihr großer Hit "Tous les garçons et les filles", den sie 1962 mit gerade mal 18 Jahren selbst geschrieben hatte, der ging eigentlich Richtung Yéyé-Genre. Yéyé war in den 60er-Jahren die französische Antwort auf die englischsprachige Rock'n'Roll- und Beat-Musik, abgeleitet von "yeah, yeah" in den Texten. Ein gutes Beispiel ist hier "She Loves You" von den Beatles. Also sehr Beat-lastig. Und tatsächlich wurde Françoise Hardy in den folgenden Jahren dann ein bisschen die Ikone dieses Yéyé-Stils, zusammen mit Johnny Hallyday und Serge Gainsbourg. Parallel dazu ist sie aber 1963 auch als Chansonsängerin beim Grand Prix Eurovision de la Chanson mit "L'amour s'en va" gestartet, einem Chanson, das sie selbst geschrieben hatte. Damit hat sie damals den fünften Platz gewonnen und sich mit ihrer ganz eigenen Stimme als junge französische Chansonnier einen Namen gemacht.
Was war das für eine Stimme?
Stender: Das war eine sehr klare und gleichzeitig auch irgendwie zurückgenommene Stimme. Sie war keine Edith Piaf, die die große Bühne und das Drama gesucht hat. Sie war ein junges Mädchen, groß, etwas schlaksig, das uns als Hörer*innen fast unaufgeregt, aber sehr berührend, intim eine Geschichte erzählt hat. Françoise Hardy galt als sehr schüchtern, soll eine stark ausgeprägte Bühnenangst gehabt haben. Die war so groß, dass sie Anfang der 70er-Jahre sogar beschlossen hat, nicht mehr aufzutreten. Sie hat dann weiter Studioalben produziert, fast jedes Jahr eins, und diese auch veröffentlicht. 1973 ist dann ihr Sohn Thomas zur Welt gekommen. Vater war der Sänger Jacques Dutronc, von dem sie sich später getrennt hat. Die beiden haben auch zusammengearbeitet. 1988 haben sie das Album "Décalages" veröffentlicht. Françoise Hardy hat damals verkündet, dass das sogar ihr letztes Album sein wird. Da war sie 44, und sie hat gesagt, sie möchte auf keinen Fall über 50 noch auf der Bühne stehen.
Das haben viele schon gesagt. Hat sie sich dran gehalten?
Stender: Nein, natürlich hat sie das nicht. 1996 hat sie ein großes Comeback gefeiert mit ihrem Album "Le Danger", auf dem sie sich sogar fast ein bisschen rockig gibt. Aber ihre Art zu singen und ihre Art, die Harmonien zu arrangieren, das ist nach wie vor Chanson. Da zeigt sie eben, dass sie einen ganz eigenen Stil hatte. Die Fans waren damals begeistert und auch die Musikwelt hat sich beeindruckt gezeigt. Damon Albarn von Blur hat sie eingeladen, gemeinsam einen Song mit ihr aufzunehmen. 2004 hat sie dann für ihr nächstes Album unter anderem mit Benjamin Biolay zusammengearbeitet. Die Texte hatte sie auch wieder alle selbst geschrieben, wie zu Beginn ihrer Karriere.
Eine lange, schwere Krankheit ist ihrem Tod vorausgegangen. Was weiß man über diese Krankheit?
Stender: Françoise Hardy hat schon vor vielen Jahren eine Krebsdiagnose bekommen, 2004 zum ersten Mal, und sie hat diesen Krebs immer wieder besiegt. 2015 hat sie dann sogar ein Album veröffentlicht, "Personne D'Autre", das war ihr zurückgenommenstes und intimstes Album, mit dem sie dann damals sogar ihre Karriere offiziell beendet hat. "Ich bin leer geschrieben", das hat sie dem ZEIT-Magazin 2018 gesagt. Damit hat sie einen Schlusspunkt unter ihrer Karriere gesetzt. Und den Schlusspunkt für ihr Leben wollte sie übrigens immer selbstbestimmt setzen. Françoise Hardy hat sich zuletzt immer wieder für Sterbehilfe stark gemacht. Sie ist damit sogar an Präsident Macron herangetreten. Letztes Jahr hat sie der Zeitschrift "Paris Match" gesagt, sie wolle bald und schnell gehen, ohne zu große Prüfungen, wie etwa nicht atmen zu können. Jetzt ist sie gegangen. Wir wissen nicht, wie, aber dass mit ihr eine große Stimme gegangen ist, das wissen wir auf jeden Fall. Vom Rolling Stone ist sie erst letztes Jahr in die Liste der 200 größten Sängerinnen und Sänger aller Zeiten mit aufgenommen worden. Als einzige Vertreterin Frankreichs wohlgemerkt.
Das Gespräch führte Philipp Schmid.