Urban Pop über Bob Dylan - Von Rebellion, enttäuschten Fans und Erfolg
Bob Dylan wollte nie der "Hohepriester des Protests" sein, zu dem ihn Fans ernannten. Im NDR Kulturpodcast Urban Pop sprechen Peter Urban und Ocke Bandixen über den künstlerischen Wandel des Musikers in den Sechzigern.
Der junge Robert Allen Zimmerman wollte raus aus der für ihren Tagebau von Eisenerz bekannten Kleinstadt Hibbing in Minnesota. Bereits eine Weile hörte er im Radio Folk-, Blues- und Rockmusik, hatte Literatur lieben gelernt, spielte selbst Folksongs mit einem Freund. Also ging er mit knapp zwanzig Jahren dorthin, wo sich die Künstlerszene Anfang der Sechzigerjahre eben aufhielt: in den New Yorker Stadtteil Greenwich Village.
Doch es war nicht leicht, im "Village" einen Auftritt zu bekommen. "Dorthin kamen Künstler aus ganz Amerika. Es war sehr organisiert in den Clubs und es gab Hierarchien", erzählt NDR Musikexperte Peter Urban im Podcast Urban Pop. "Irgendwann ließen sie diesen Künstler, der sich Bob Dylan nannte, dann aber vorsingen. Seine raue, knarzige Stimme passte eigentlich nicht in die Szene, denn angesagt waren sanfte Folkstimmen. Doch welch großes Talent in diesem Provinzler aus Hibbing steckt, das war damals noch niemandem klar."
Zeitungsartikel ermöglicht Dylan ersten Plattenvertrag
Zwar hatte Dylan es nun endlich geschafft, im Village zu spielen. Doch einen Plattenvertrag zu bekommen, erwies sich trotzdem als schwierig. "Das Label 'Folkways' hat ihn abgelehnt", erzählt Urban. Erst, als der Journalist Robert Shelton ihn im 'Gerde's Folk City' sah und ein großer Artikel mit Lob über diesen Auftritt in der New York Times erschien, erlangte Dylans Musik Aufmerksamkeit. "Danach waren die Clubs voll, wenn er sang."
Am Erscheinungstag des Artikels war Dylan zufällig in den Columbia Studios, um bei einer Plattensession Mundharmonika zu spielen. Dylan zeigte dem dortigen Produzenten John Hammond kurzerhand den über ihn verfassten Artikel in der New York Times, woraufhin Hammond ihn unter Vertrag nahm. Für seine erste Platte, die schlicht "Bob Dylan" hieß, nahm er zwei eigene Songs auf, coverte den Rest. "Das Album wurde an einem Nachmittag und unter Produktionskosten von nur 400 Dollar 'heruntergespielt'", berichtet Urban. "Die Platte floppte ganz furchtbar, es wurden nur 5.000 verkauft."
Durchbruch beim "Newport Folk Festival"
"Nach dem Erscheinen des Artikels wurde Dylan von der Folkgemeinde als Vorzeigekünstler hervorgehoben", berichtet NDR Musikredakteur Ocke Bandixen. 1963 durfte er auf dem "Newport Folk Festival" spielen. "Dort aufzutreten, war ein Ritterschlag. Er sang 'Blowin' In The Wind' und die Leute hingen an seinen Lippen. Das war sein internationaler Durchbruch, raus aus den Clubs im Village und hinein in große Konzerthallen", erzählt Urban.
Einfluss von Freundin Suze Rotolo

1963 erscheint Dylans zweites und erfolgreicheres Album "The Freewheelin' Bob Dylan" mit dem Hit "Blowin' In The Wind". Auf dem Plattencover ist er Arm in Arm mit seiner damaligen Freundin Suze Rotolo zu sehen. Rotolo, die aus einer politisch linksgerichteten Familie stammt und Literatur studierte, nahm laut Urban großen Einfluss auf Dylans künstlerisches Schaffen: "Sie erzählte ihm viel über Politik und Literatur. Viele seiner politischen Songs und Liebeslieder wurden von ihr beeinflusst." Als Rotolo ein Auslandssemester in Italien macht und sich unsicher ist, ob sie zurückkehren soll, schrieb Dylan für sie den Song "Don't think twice, it's all right".
Kritischer Blick auf Politik und Gesellschaft
Auch Dylan's drittes Album "The Times They Are A-Changin'" aus dem Jahr 1964 wird ein Erfolg. Seine Songtexte sind in dieser Zeit geprägt von politischen und gesellschaftskritischen Themen. Dylan schreibt über Rassismus, Femizide und persönliche Schicksale, von denen er in der Zeitung erfährt. Der Song "The Lonesome Death of Hattie Carroll" aus dem Jahr 1964 erzählt von einer afroamerikanischen Frau, die von einem reichen weißen Mann aus einer Laune heraus erschlagen wird. Der Täter kommt mit einer milden Strafe davon. "Dylan spricht Ungerechtigkeiten an, über die damals kaum jemand gesungen hat", so Urban.
In "Only A Pawn In Their Game" prangert Dylan den strukturellen Rassismus an. Er kritisiert, dass arme weiße Arbeiter nur als Bauer im Spiel von Wirtschaftsbossen und Politikern fungieren. Urban berichtet: "Die weißen Arbeiter wandten sich damals gegen schwarze Menschen. Aber Dylan sagte: 'Die können nichts dafür, es sind die da oben.' Er hat diese politischen Zusammenhänge in seinen Songs ausgedrückt."
Mitte der Sechziger: Künstlerischer Wandel
Etwa ab der Mitte der Sechziger Jahre wandelte sich Dylan musikalisch. So nahm er Abstand von sogenannten "finger-pointing" Songs, in denen er Missstände in der Gesellschaft anprangerte. Er wollte kein "Protestsongler" mehr sein. Auch sein Sound veränderte sich. Zunehmend kamen Bass, Schlagzeug und elektrische Gitarre zum Einsatz. "Dylan war nun nicht mehr der 'Folkie', der sich gegen etwas aussprach. Sondern auf einmal sang er über skurrile, surreale Themen, die inhaltlich aber sehr kreativ waren", resümiert Urban.
Im Song "Desolation Row" erzählt er von einem obdachlosen Albert Einstein, der eine Zigarette schnorrt und an Abflussrohren schnüffelt, um "draufzukommen". "Man fragt sich schon, ob Dylan so wie einige andere Musiker in dieser Zeit Drogen genommen hat. Aber um kreative Poesie zu schreiben, brauchte er keine. Er hatte einfach viel Fantasie", berichtet Urban amüsiert.
Dylan, der Opportunist?
Dylans Abschied von den Protestsongs und den Auftritten im Village verärgerte damals viele Fans. Sie warfen dem Musiker vor, opportunistisch statt idealistisch zu handeln. Als Dylan 1965 mit "Like A Rolling Stone" einen seiner größten Hits landet und für diesen in Musikzeitschriften mit Lob überschüttet wird, wird er bei Auftritten von frustrierten Folk-Fans ausgebuht und als Verräter beschimpft.
In seinem 2004 erschienenen, autobiografischen Buch "Chronicles" schreibt Dylan über diese Zeit: "Ich hatte die Schnauze voll davon, dass ich zum Obermufti geweiht worden war. Dass man alles mögliche in meine Texte hineingeheimniste. Dass ihre ursprüngliche Bedeutung in etwas Polemisches verkehrt wurde, dass ich zum Hohepriester des Protests ernannt worden war." Bandixen resümiert: "Wenn Bob Dylan etwas macht, sind die Erwartungen groß. Aber seine Verweigerung, diese zu erfüllen, scheint seine Attraktivität nur noch mehr zu steigern."
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