Marianne Faithfull: Mehr als Micks Muse
Marianne Faithfull überlebte einen Selbstmordversuch und den Brustkrebs, war heroinsüchtig, ging auf Entzug. Über eine Kämpferin, die immer wieder aufstand und sich nach Jagger neu erfand.
Obwohl Marianne Faithfulls Beziehung zu Mick Jagger nur etwa vier Jahre hielt und bereits 1970 endete, wurde die Sängerin und Schauspielerin bis zu ihrem Tod im Januar 2025 in Interviews nach ihrem Ex befragt. Der Vogue Germany erzählte sie 2018, sie könne diese "ewigen Fragen nach Jagger und den Stones" nicht mehr hören. Im Podcast Urban Pop verrät NDR Musikexperte Peter Urban: "Sie hatte einen eigenen Kopf, zudem eine interessante Biografie, aufgrund ihrer Drogenvergangenheit sicher auch viele Tiefen. Aber man wird ihr nicht gerecht, wenn man nur sagt: 'Die hatte mit den Stones zu tun'."
Attraktives Aussehen öffnete Türen
In jungen Jahren fiel Faithfull durch ihre attraktive Erscheinung auf, erinnert sich Urban: "Sie war wunderschön, hatte blondes Haar, ein tolles Gesicht, strahlte Unschuld aus und wirkte dadurch auf Viele sehr attraktiv." NDR Musikredakteur Ocke Bandixen pflichtet ihm bei: "Es wird geschildert, dass sich damals alle zu ihr umdrehten, wenn sie den Raum betrat." Als Faithfull mit 16 Jahren auf eine Party nach Cambridge eingeladen wird, lernt sie den britischen Künstler John Dunbar kennen, den sie nur ein Jahr später heiratete und mit dem sie einen Sohn bekam, Nicholas Dunbar.
John Dunbar hatte beste Verbindungen in künstlerisch-musikalische Kreise, war unter anderem mit Beatle Paul McCartney und dem Gitarristen Peter Asher befreundet. Auf einer Party wurde bald auch der Rolling Stones-Manager Andrew Loog Oldham auf die junge Faithfull aufmerksam. "Er war ein Mann, der weniger auf Musik und mehr auf das Image achtete. Es war ihm eigentlich egal, ob sie singen konnte. Aber sie konnte singen - und zwar richtig gut. So kam sie schnell zu einem Vertrag", erzählt Urban.
Faithfulls erster Hit wurde die Folkballade "As Tears Go By", geschrieben von Mick Jagger und Keith Richards. Im Vogue-Interview von 2018 erkannte Faithfull die künstlerische Leistung ihrer Freunde an: "Das Stück ist einfach wunderschön. Es zeigt, was für tolle Songschreiber Mick und Keith sind."
Ehe-Aus mit Dunbar und Beziehung mit Jagger
Faithfulls Ehe mit John Dunbar hielt nicht lange, er hatte traditionelle Vorstellungen von ihr als häusliche Ehefrau. Es folgte die Trennung, Marianne zog mit Sohn Nicholas zu Freunden. In einem Interview verriet Faithfull, dass sie Mick Jaggers Aufmerksamkeit auf sich zog, indem sie ihn konstant ignorierte. Das reizte Jagger scheinbar, er bemühte sich um sie, 1966 wurden sie ein Paar.
Faithfull beschreibt in ihrer Biographie, Jagger vorgelesen und ihm Lektüre nähergebracht zu haben. "Viele Ideen in Stones-Songs sind von ihr", erklärt Urban. So beruht zum Beispiel der Hit 'Sympathy For The Devil' auf einer Buchempfehlung von Faithfull - "Der Meister und Margarita" des russischen Schriftstellers Michail Bulgakow. "Marianne empfahl Jagger, das Buch zu lesen und einen Song drüber schreiben. Das mag er vielleicht nicht zugeben wollen, aber es war sicherlich so."
Trennung nach einem Selbstmordversuch
Durch ihre Verbindung mit den Stones kam Faithfull bereits in jungen Jahren mit Drogen in Kontakt. "Die Stones waren eine Männergesellschaft, spielten ohne die Frauen Karten. Faithfull und ihre Freundin Anita Pallenberg, die mit Keith Richards zusammen war, nahmen aus Langeweile gemeinsam Drogen wie Kokain, LSD und Heroin", erzählt Urban.
Jagger sei ehrgeizig gewesen, wollte als Musiker aufsteigen. Faithfull habe im Laufe der Beziehung immer mehr Drogen konsumiert, sei als Begleitung von Jagger aufgrund ihrer Sucht bei einer Veranstaltung auf dem Warwick Castle mit dem Kopf in die Suppe gefallen. "Jagger nahm sie dann nicht mehr mit", so Urban. Ihre Beziehung bekam weitere Risse, als Marianne 1968 eine Fehlgeburt hatte. Nachdem sie kurz darauf einen Selbstmordversuch mit 120 Schlaftabletten unternommen und diesen überlebt hatte, ging die Beziehung zu Jagger endgültig in die Brüche. Bandixen berichtet: "Ihr war es aber immer wichtig zu sagen, dass sie sich von ihm abgewendet hat. Sie war gegangen."
Künstlerische Eigenständigkeit
Es folgten Jahre der Drogenabhängigkeit. Faithfull lebte auf der Straße, verlor das Sorgerecht für ihren Sohn Nicholas. Trotz ihrer Probleme bewies sie sich nach ihrer Beziehung zu Jagger als eigenständige Künstlerin. Sie veröffentlichte zahlreiche Musikalben, zeigte sich als Schauspielerin, beeindruckte durch ihre Sprechstimme.
Mit dem Album "Broken English", dessen Cover Faithfulls Kopf im blauen Schimmer mit Arm vor dem Gesicht und Zigarette in der Hand zeigt, bewies sie 1979, dass sie nicht der brave, schüchterne Engel war, den andere in ihr sahen. Ihre markante Stimme verlieh ihren Songs nun eine rauere, reifere Note. Urban erinnert sich: "Man wusste, dass sie auf der Straße lebte und heroinsüchtig war, man hatte ihre zarte Stimme noch im Kopf. Und dann kam diese tiefe Stimme mit guten Grooves und punkiger Attitüde, tollen Arrangements. Eine Frau, die alles erlebt hat, das war extrem eindrucksvoll."
Nachdem Faithfull 1985 fast an einer Überdosis starb, machte sie einen Entzug. 1986 kam sie aus der Klinik. Sie brachte weitere Alben heraus, sang Kurt Weills "Die sieben Todsünden", spielte in der "Dreigroschenoper". Ihr Album "A Secret Life" von 1995, inspiriert von Filmkomponist Angelo Badalamenti, bewies ihr Gespür für cineastische, lyrische Musik. Faithfull arbeitete mit Musikgrößen wie Nick Cave, Pulp und Blur, zeigte sich musikalisch neugierig für neue Strömungen.
Song for Nico: Abrechnung mit der Männerwelt
In ihren Songs kritisierte Faithfull auch den Umgang einiger Männer aus ihrem Umfeld mit Frauen. Im "Song For Nico", den sie für Sängerin und Model Christa Päffgen alias Nico schrieb, beschreibt Faithfull Päffgen als Opfer, wie Urban berichtet: "Im Songtext heißt es: 'Es ist 1966 und Andrew (Loog Oldham) hat alle seine Tricks wieder ausgepackt. Und wenn Brian Jones in der Nähe ist, fühlt sich Nico nicht so seltsam. Ihr geht's richtig schlecht, obwohl sie unschuldig ist. In der nächsten Strophe singt sie 'Nun ist Andy Warhol dran.'"
Bandixen sieht im Songtext Parallelen zu Faithfull selbst: "Beide hatten Interesse am Rockstar-Leben, kamen mit Drogen in Verbindung. Und beide litten darunter, als Objekt wahrgenommen zu werden."
Tiefe Trauer über Tod von Anita Pallenberg
Mit Anita Pallenberg verband Faithfull auch lange nach ihren Trennungen von den Stones-Stars Jagger und Richards eine lebenslange, enge Freundschaft. Der Tod von Anita Pallenberg im Jahr 2017 erschütterte Faithfull tief. Ein halbes Jahr nach Pallenbergs Tod veröffentlichte sie die Platte "Rich Kid Blues". "Ihre Trauer und ihre Verzweiflung sprechen aus dem gesamten Album", findet Urban. "Man hat das Gefühl, es ist ein Abschiedsalbum", so Urban.
Letzte Jahre und Tod 2025
![Marianne Faithfull sitzt auf einem Stuhl mit Laufstock im Jahr 2014. Marianne Faithfull sitzt auf einem Stuhl mit Laufstock im Jahr 2014. © picture alliance/dpa/MAXPPP | Arnaud Dumontier Foto: picture alliance/dpa/MAXPPP | Arnaud Dumontier](/kultur/musik/pop/faithfull116_v-contentgross.jpg)
Faithfulls späten Jahre waren von gesundheitlichen Rückschlägen gezeichnet. 2005 zwang Brustkrebs sie zu einer Tourneepause, Hepatitis C schwächte sie weiter. Sie litt an Osteoporose, stürzte mehrfach, brach sich Steißbein und Hüfte. Faithfull erkrankte zudem schwer an Covid, lag 2021 drei Wochen auf der Intensivstation, wurde beatmet, verlor fast ihre Stimme.
Ihr Spätwerk, insbesondere "Negative Capability" aus dem Jahr 2018, zeugte von einer tiefen, melancholischen Reflexion über ihr bewegtes Leben. Urban resümiert: "Das war eine Marianne, die mit der aus ihrer alten Zeit nichts mehr zu tun hatte."
Am 31. Januar 2025 starb Marianne Faithfull im Kreise ihrer Familie.
Die ganze Folge Urban Pop über Marianne Faithfull hören Sie oben auf dieser Seite und in der ARD Audiothek.
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Rock und Pop
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