Skandal mit Ansage? Holzinger inszeniert ihre erste Oper in Schwerin
Die Performerin Florentina Holzinger ist für ihre provokanten Ideen bekannt. Nun soll am 30. Mai am Mecklenburgischen Staatstheater ihre erste Oper "Sancta" uraufgeführt werden. Vorlage ist Paul Hindemiths Kurzoper "Sancta Susanna".
Ihre künstlerische Heimat ist eigentlich die Berliner Volksbühne - ihre erste Oper aber inszeniert Florentina Holzinger in Schwerin: "Sancta", nach "Sancta Susanna" von Paul Hindemith. Die Uraufführung 1922 geriet zum Skandal - und auch jetzt stehen die Chancen dafür ganz gut.
Holzinger eröffnet ihr Stück "Sancta" mit Paul Hindemiths einaktiger Oper "Sancta Susanna", in der eine Nonne brutale Bestrafung für ihre sexuelle Selbstbestimmung erfährt. Es folgt eine "feministische Messe": Bach, Rachmaninow, Metal, Noise und zeitgenössischen Kompositionen treffen in einer musikalischen Tour de Force aufeinander, in der Magie und Wunder der Kirche eine Aneignung erfahren, aber auch ihr Bezug zu Opfer und Gewalt verarbeitet wird. "Eine Messe bietet viel Spielraum", sagt Holzinger. Die Bibel sieht sie als "Netflix einer vergangenen Zeit". Existenzielle Themen würden dort angesprochen, heute aber oft anders interpretiert als etwa vor hundert Jahren.
Gegensatz: Jungfrau Maria und Maria Magdalena
Paul Hindemiths heute weitgehend unbekannte Oper soll das Operndebüt der aktuell so gefeierten wie umstrittenen Tanzperformerin in Schwerin werden. "Da schwingt natürlich extrem viel Archetypus und Klischee mit, aber in der Kirche geht es nach wie vor ganz viel um die Virgin Mother und Maria Magdalena und das beeinflusst uns natürlich kulturell. Diese Gegensätze sind auch wirklich ein sehr zentraler Aspekt von Hindemiths Oper", sagt Holzinger. Sie habe keine Angst, sich an diesen Archetypen abzuarbeiten. Da wird zum Beispiel die Sixtinische Kapelle zur Kletterwand, die Oper zum Rockmusical, Gott zum Roboter und Jesus Christus zu Jesus Christ Superstar. Die heilige Messe wird zum Spektakel. Magie und Wunder, so die Künstlerin, müssen zur realen Möglichkeit werden. Spinnenhaft und dunkel, laut und exzessiv, lustig und erlösend, fordert "Sancta" religiöse Konventionen heraus, in dem Versuch, sie gleichzeitig zu erneuern.
"Kloster auch aus feministischer Sicht sehr interessant"
"Ein Kloster ist auch aus feministischer Sicht sehr interessant. Ist es ein Ort, in der die weibliche Körperlichkeit in der Askese unterdrückt wird? Oder ist es der Ort, in dem die Frauen in Ruhe gelassen werden, ihre Handlungsmacht ausüben und ihr eigenes Leben führen können?", spannt Holzinger den weiten Bogen der Interpretation. Doch wird allein am Bühnenbild schon deutlich, dass sie die Handlung aus der stillen Abgeschiedenheit eines Nonnenklosters herausholen will. Holzinger lässt ihre internationale Performance-Gruppe mit Rollschuhen auf einer Skaterbahn agieren - und folgt damit nach eigenem Bekunden auch ihrer Leidenschaft für das rasante wie symbolträchtige Auf und Ab in der Halfpipe.
Effekthascherei und Voyeurismus? "Das liegt im Auge des Betrachters"
Florentina Holzinger ist vor allem in der Berliner Kulturszene bekannt für ihre drastischen Aufführungen mit nackten Laien- und professionellen Ausdruckstänzerinnen, in denen sie sich schonungslos gesellschaftlichen Ambivalenzen widmet, was viele Zuschauer begeistert, viele andere abstößt. Vorhaltungen, mit zumeist nackten Akteurinnen auf der Bühne und zuweilen verstörenden Bildern Effekthascherei zu betreiben und Voyeurismus zu bedienen, begegnet Holzinger gelassen: "Das liegt immer im Auge des Betrachters."
Bei ihrer ersten Operninszenierung werden die Mecklenburgische Staatskapelle, der Schweriner Opernchor und Solisten mit ihrem freien Ensemble zusammen agieren. "Ich habe definitiv noch nie mit so einem großen musikalischen Aufgebot gearbeitet. Das ist eine ganz spezielle Faszination an diesem Projekt für mich". Faszinierend ist auch, dass sie eine musikalische Komposition als Ausgangspunkt hat, denn normalerweise gebe in ihren Arbeiten zuerst die Performance und dann werde die Musik darüber gespielt. Am Thema Religion begeistert sie vor allem: "Dass wir machen, was das Theater sowieso immer will: eine spirituelle Erfahrung gewährleisten für Zuschauer und Performer."
"Künstler müssen sich selbst infrage stellen"
Die Oper verbindet Florentina Holzinger mit einer musikalischen Messe, aufgeführt von denselben Sängern und Performerinnen. Dabei kombiniert sie die Teile einer klassischen Messe von Bach mit Rachmaninow oder Gounod sowie Neukompositionen von Johanna Doderer und elektronischer Musik. Das Ganze für ist Schwerin ein gewisses Wagnis, gesteht Theaterintendant Hans-Georg Wegner. "Auf der anderen Seite möchte ich alle bitten, keine Angst zu haben. Wir sind Künstler und wir müssen unsere Beschränkungen, die wir auch mitbringen, immer wieder infrage stellen und deswegen ist es so wertvoll, wenn wir jetzt mit einer freien Künstlergruppe um Florentina Holzinger zusammenarbeiten, weil wir einfach aus unseren eigenen Beschränkungen rauskommen."
Uraufführung 30. Mai
Am 30. Mai soll die Uraufführung sein, insgesamt ist das Projekt "Sancta Susanna" vier Mal in Schwerin zu sehen. Das Theater kooperiert dabei mit den Wiener Festwochen, wo die Performance im Anschluss gezeigt wird, sowie mit der Staatsoper Stuttgart, wo sie die neue Spielzeit eröffnen soll.
Spannendes Experiment
Bleibt abzuwarten wie sich die Zusammenarbeit zwischen den freien wie radikalen Performerinnen und dem Opernensemble entwickeln wird - auch das, ein spannendes Experiment, aber auf jeden Fall dürfte das Projekt Schwerin überregionale Aufmerksamkeit in der deutschsprachigen Theaterszene bescheren.
Der Kartenvorverkauf für das Mecklenburgische Staatstheater Schwerin für die vier Termine im Mai und Juni 2024 hat am 20. September begonnen.