Simon Rattle: England macht's im Fußball wie beim Bolero
Ed Sheeran, Adele, Prinz William - England hat bei der Fußball-EM viel prominente Unterstützung erfahren. Auch Dirigent Sir Simon Rattle zeigt sich im Interview mit NDR Kultur fußballbegeistert. Das Endspiel am Sonntag kann er aber nicht live sehen.
Der 69-Jährige steht zeitgleich mit dem EM-Finale England gegen Spanien (21 Uhr, live im Ersten) auf der Konzertbühne: In Bad Kissingen, mit dem Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks (BRSO). Aber natürlich hat Rattle, als gebürtiger Liverpooler ein großer Fußball-Fan, einen Fernseher organisiert, sodass er zumindest das Ende des Spiels gemeinsam mit seinen Musikerinnen und Musikern verfolgen kann.
Die Fußballbegeisterung seines Dirigenten ist dem BRSO nicht verborgen geblieben. So bekam er zu seinem Amtsantritt in München im vergangenen Jahr ein Trikot des FC Bayern geschenkt, mit Original-Autogramm von Harry Kane. Der britische Nationalstürmer war ebenfalls 2023 in die bayrische Landeshauptstadt gewechselt - und könnte nun die englische Mannschaft am Sonntag zum EM-Titel schießen.
Inwiefern waren Sie Teil der Fußballbegeisterung in Liverpool?
Simon Rattle: Fußball war natürlich immer etwas, das ich geliebt habe. In den letzten Jahren sogar noch mehr, seit ich Teenager-Jungs zuhause habe, die Fußball auch lieben. Ich hab sie mitgenommen zum FC Liverpool, bei Heim- und Auswärtspartien. Natürlich haben wir das, was die Spieler machen, mit viel Stolz verfolgt. Meine Güte, was für ein inspirierender Trainer, den sie in den vergangenen Jahren hatten - ich glaube, der ist in unserem Land der heißgeliebteste Deutsche aller Zeiten! (gemeint ist Jürgen Klopp, Anm. d. Red.)
Inwieweit hilft der Erfolg der englischen Mannschaft jetzt, das United Kingdom wieder zu vereinen?
Rattle: Ich glaube, da haben wir noch einen langen Weg vor uns. Aber natürlich sind alle total begeistert und fiebern auf das EM-Finale hin. Es gibt einige harte Jobs in UK: Premierminister ist einer davon, Monarch ein anderer - aber ich glaube, es gibt keinen härteren, als den des Trainers der Nationalmannschaft. Ich ziehe meinen Hut vor Gareth Southgate, dass er nicht nur das Team geführt, sondern sich der unglaublich heftigen Masse an Kritik gestellt hat.
Man hat ihm die Frustration einer ganzen Nation aufgeladen, und er ist trotzdem ein wundervoller, vernünftiger und rücksichtsvoller Mensch geblieben. Das ist wahnsinnig beeindruckend - auch, was er mit dieser großartigen Truppe von ganz unterschiedlichen Spielern geschaffen hat.
Drückt das ganze Vereinigte Königreich jetzt dem englischen Team die Daumen?
Rattle: Ja, ich glaube, alle werden sich das angucken. Es gibt wirklich eine enorme Begeisterung und Aufregung. Als Fußballfan hab ich mich gefreut, zu sehen, wie sich das Team im Halbfinale endlich freigespielt hat. Aber der immense Druck, der auf den Schultern der Spieler lastet, ist schwer vorzustellen.
Wie würden Sie die EM des Teams bisher beschreiben? Ist das jetzt der perfekte Höhepunkt - wie (musikalisch gesprochen) im Bolero?
Rattle: Im Bolero dauert es dauert lang, aber man kommt an. Rückblickend sieht es auch beim englischen Team so aus, als wäre es Taktik gewesen. Endlich sehen wir Spieler, die mehr sie selbst sein können - ob das aber die Ursprungsidee war, oder Zufall ist - wer weiß das schon? Als Dirigent weiß ich, wie sich Pläne mit der Zeit ändern können, und dass Dinge kommen, wie sie kommen. Es wird auf jeden Fall ein spannender Abend.
Kommen wir zur Musik. In München läuft das Open-Air-Festival "Klassik am Odeonsplatz". Nicht jeder Dirigent ist für so eine Party gemacht. Sie schon, oder?
Rattle: Ich genieße sie. Und weil ich aus England komme, kenne ich die Sache mit dem Regen natürlich. Aber natürlich sind wir so flexibel wie möglich, und hoffentlich gibt es ein Zeitfenster, in dem wir spielen können. Zumindest einen Teil des Konzerts. Für das Orchester ist das der Abschluss der Saison, etwas, auf das sich die Leute sehr freuen. Deswegen gibt's dort auf dem Odeonsplatz eine ganz besondere Atmosphäre - aber Blitz und Donner wären da nicht so optimal.
Wo stehen Sie nach einem Jahr regemäßiger Arbeit mit dem BRSO?
Obwohl wir uns schon einige Jahre kennen, kennen wir uns jetzt viel besser. Und ich habe gemerkt, wie viel Vertrauen ich in dieses Team haben kann. Sie spielen wie die Teufel. Für sie gibt's im Konzert nichts Wichtigeres auf der Welt. Für mich ist das ein ganz außergewöhnliches Gefühl von Wärme und Unterstützung. Jeder weiß: das BR Symphonieorchester ist eines der besten Orchester der Welt - ich bin ein sehr glücklicher Mann.
Warme Brise aus dem Orchester. Wie ist das für Sie, wenn Sie diese Magie herbeizaubern?
Wir müssen uns immer daran erinnern, dass nicht ich es bin, der da zaubert - die Musikerinnen und Musiker spielen! Aber sie geben uns einen außergewöhnlichen Klang und tiefe Emotionen - mit denen ich gestalten kann. Manchmal gehen wir gemeinsam auf ganz unterschiedliche Reisen, während des Konzerts - sie sind da offen für alles, was im Moment geschieht. Es ist wirklich eine sehr besondere Truppe.
Das Gespräch führte Mischa Kreiskott