Buch der Tochter von Gisèle Pelicot erscheint auf Deutsch
Das Buch "Und ich werde dich nie wieder Papa nennen" zum Jahrhundertverbrechen an Gisèle Pelicot, geschrieben von der Tochter Caroline Darianm, ist gerade auf Deutsch erschienen - ein Gespräch mit den Übersetzerinnen.
Fast zehn Jahre lang hat Dominique Pelicot seine Frau Gisèle mit medikamentösen Substanzen betäubt, um sie im bewusstlosen Zustand zu vergewaltigen und knapp 70 fremden Männern zuzuführen. Auch von der Tochter Caroline Darian gibt es verhängnisvolle Fotos. Sie kann sich ebenso wenig wie ihre Mutter an die unzähligen Vergewaltigungen erinnern. Bis Caroline Darian 42 wurde, glaubte sie, ein im besten Sinne des Wortes "banales" Leben zu führen, eine glückliche Kindheit gehabt zu haben. Mit einer Mutter, die beim Tanzen auf der Terrasse die Arme um den Hals ihres Mannes schlingt - nach 50 Jahren verliebt wie am ersten Tag. Mit einem Vater, der seinem Enkelsohn das Schwimmen beibringt und mit ihm Radtouren macht. In ihrem Buch macht sie deutlich, dass dieses Bild eines "liebevollen Vaters" "immer noch tief in ihr verankert" und sie das partout nicht übereinandergelegt bekommt mit dem schweren Sexualverbrecher, der ihre Mutter über Jahre betäubt und vergewaltigt sowie fremden Männern bewusstlos zur Vergewaltigung ausgeliefert hat. Grit Weirauch und Michaela Meßner haben es aus dem Französischen übersetzt. Im Interview mit NDR Kultur sprechen sie über die psychischen Abgründe, die sich dabei auftun.
Frau Weirauch, wie übersetzt man ein so sensibles, schwieriges Thema?
Grit Weirauch: Die Herausforderung war vor allem psychischer Natur. Das geht einem wirklich unter die Haut und ging mir zum Teil bis auf die Knochen. Übersetzen ist so etwas wie das Baden in fremden Gewässern. Man taucht in eine andere Sprache ein, in andere Geschichten, in fremde Welten und das kann sehr angenehm sein. In diesem Fall war das aber wirklich knallhart. Es war eher Eisbaden denke ich im Nachhinein. Man taucht da in psychische Abgründe von anderen Leben ein. Ich für meinen Teil habe das nicht lange ausgehalten. Ich habe mir vorgenommen, dass ich wirklich nur jeden Tag zwei Stunden übersetze. Ich hätte daran nicht mehr arbeiten können und auch nicht wollen. Man muss zwischendurch rauskommen und festes Land betreten. Man muss das in die eigene Sprache übermitteln und auch für sich selbst gut sorgen.
Das ist ja auch ihre Aufgabe als Übersetzerinnen, sich in diesen Menschen, der das geschrieben hat, hineinzuversetzen. Insofern kann mir vorstellen, wie emotional das für Sie beide gewesen sein muss, an diesem Text zu arbeiten.
Michaela Meßner: Ich wollte noch anmerken, dass wir beide schon Texte übersetzt haben, die solche schwierigen Themen hatten. Ich hatte "Trauriger Tiger" von Neige Sinno. Das ist eine Inzestgeschichte. Auch da habe ich diesen großen Druck gemerkt. Wenn ich ein fiktionales Werk habe, muss ich das natürlich gut übersetzen, aber da muss ich auch einem Opfer gerecht werden und darf nichts verfälschen. Das ist ein ganz enormer Druck. Bei Neige Sinno war ich in direktem Kontakt. Hier waren wir das jetzt nicht und die Tatsache, dass das jetzt eine echte Geschichte eines wahren Menschen ist, die man nicht verfälschen will, ist auch noch mal ein Druck zusätzlich zu dem Inhaltlichen, womit man sich auseinandersetzt.
Haben Sie beide oder eine von ihnen den Prozess dann auch verfolgt ?
Weirauch: Ja, wir haben beide den Prozess natürlich verfolgt, also vorab für die Recherche und natürlich hat einen das auch immer wieder angezogen und reingezogen. Wir haben uns dann auch ausgetauscht. Ich habe zum Beispiel sehr viele französische Tageszeitungen gelesen und das jeden Tag verfolgt und wir haben uns darüber ausgetauscht und uns das gegenseitig geschickt.
Frau Weirauch, warum haben Sie denn eigentlich zu zweit übersetzt?
Weirauch: Es kam eine Anfrage vom Kiwi-verlag (Anm. d. Red.: Kiepenheuer & Witsch). Es war ein eiliger Auftrag und musste sehr schnell gehen. Ich habe die Anfrage Mitte Oktober bekommen und dann war klar: So eine Art von Text übersetzt man lieber zu zweit. Zum einen, weil wir uns dadurch gegenseitig lektorieren konnten. Zum anderen aber auch, weil dieser Text das harter Tobak ist und ich denke, die Lektorin wollte keine von uns damit allein lassen.
Wie haben Sie sich denn da organisiert? Sagt man: Du nimmst das Kapitel und ich mach dieses, wie genau ist das praktisch in der Arbeit gewesen?
Meßner: Wir haben uns den Text geteilt und dann, wenn eine fertig war, das Manuskript der anderen zugeschickt und dann gegenlektoriert. Jeder hatte so ein bisschen Oberhoheit über seinen eigenen Part, aber auch so ein ausgeputztes Manuskript, wo die Korrekturen des anderen dann auch zumindest diskutiert, aufgenommen, eingearbeitet waren.
Und nun erscheint dieses Buch also auf Deutsch "Und ich werde dich nie wieder Papa nennen" übersetzt von Michaela Meßner und Grit Weirauch. Schönen Dank für Ihre Zeit und die Einblicke heute Morgen bei NDR Kultur.
Das Gespräch führte Keno Bergholz.