Gisèle Pelicot: "Nicht wir sollten uns schämen, sondern sie"
Gisèle Pelicot ist jahrelang von ihrem Mann narkotisiert und immer wieder vergewaltigt worden. Doch damit nicht genug. Darüber hinaus hat er sie auch anderen Männern angeboten. Fünfzig Männer sitzen in Avignon auf der Anklagebank.
Und viele, die schon ihre Aussage gemacht haben, fanden offenbar nichts dabei, eine betäubte Frau zu vergewaltigen. Bislang noch kein Anzeichen von Bedauern.
Diese Nachricht will mir nicht mehr aus dem Kopf gehen. Zum einen, weil ich sie so ungeheuerlich finde. Doch die Nachricht vom Vergewaltigungsprozess in Avignon will mir noch aus einem anderen Grund nicht aus dem Kopf gehen. Und das ist der ungeheure Mut von Gisèle Pelicot.
Gisèle Pelicot will Frauen eine Stimme geben
Oft ist es bei ähnlichen Prozessen so, dass die Opfer den Tätern nicht noch einmal gegenübertreten wollen und sich nur so kurz wie unbedingt nötig im Gerichtssaal aufhalten. Das ist natürlich verständlich. Doch hier ist es anders: Gisèle Pelicot ist die ganze Zeit dabei und sagt, sie habe sich nichts vorzuwerfen. Sie will anderen missbrauchten Frauen Mut machen und sagt: "Ich will, dass die Frauen keine Schande mehr verspüren. Nicht wir sollten uns schämen, sondern sie!"
Keine Täter-Opfer-Umkehr im Prozess von Avignon
Wie Recht sie damit hat. Denn allzu oft beeinflussen die Täter die Opfer nachträglich und reden ihnen ein, dass keiner ihnen glauben werde. Dass sie nichts beweisen könnten oder dass sie durch ihre vermeintliche Passivität irgendwie doch zugestimmt hätten. Die typische Täter-Opfer-Umkehr. Gisèle Pelicot sagt dagegen: "Ich bringe vor allem meinen Wunsch und meine Entschlossenheit zum Ausdruck, dass wir diese Gesellschaft verändern." Und das wünsche ich ihr von Herzen.
Möge ihre Seele beschützt sein und sie weiterhin den Mut haben, die Gesellschaft zu verändern, nicht nur in Frankreich, sondern weit darüber hinaus, auch hier in Deutschland. Damit nicht länger die Opfer das Gefühl haben, sich schämen müssen, sondern die Täter.