"Ich musste das Verzeihen lernen": Wolf Biermann wird 88
Mit keinem Künstler ist die deutsch-deutsche Geschichte so verbunden wie mit Wolf Biermann. Am 15. November wird der Hamburger Dichter und Liedermacher 88 Jahre alt - ein Geburtstagsporträt.
Biermanns Ausbürgerung 1976 aus der DDR war eine wichtige Wegmarke der deutschen Geschichte. Aber auch danach und bis heute war er eine relevante und bisweilen unbequeme Stimme in vielen gesellschaftlichen Debatten.
"Das ist das Beste, was einem Lied passieren kann, dass es sich von dem löst, der es geschrieben hat", sagt Wolf Biermann über sein wohl bekanntestes Lied "Ermutigung". In Schweden steht es sogar im Kirchengesangbuch. "Opmunterung heißt es da", erzählt der Liedermacher und lacht.
Wolf Biermann: Auch heute noch unermüdlich
Wolf Biermann im Jahr 2024: Noch immer steht er auf der Bühne. Kurz vor seinem Geburtstag gibt er im Thalia Theater ein großes Konzert. Allerdings ein besonderes: Nicht nur Biermann singt seine Lieder, sondern auch 15 Künstlerinnen und Künstler, die ihre eigenen Interpretationen der Biermann-Songs präsentieren.
Auch jenseits der Bühne engagiert sich Biermann. Sein Preisgeld für sein Lebenswerk hat er 2021 Maria Kolesnikowa gestiftet, der belarussischen Oppositionellen. Mit "Mensch Gott!" ist ein Buch von ihm erschienen, in dem er über seine Auseinandersetzung mit dem Glauben schreibt. Und zum Beispiel über das Verzeihen: "Ich musste das Verzeihen lernen […] man ist geradezu dazu verpflichtet, das Verzeihen zu lernen. Warum? Um nicht am Gift des eigenen Hasses zu sterben." Vergessen hat Biermann dennoch nichts, wie man vor einigen Jahren im Bundestag erleben konnte, als er seine Ermutigung sang, aber vorher, auf die Linksfraktion zeigend, diese als den "kläglichen Rest" bezeichnete - seiner Feinde von früher.
Wolf Biermann, geboren 1936 in Hamburg, Sohn überzeugter Kommunisten, sein Vater, der Hafenarbeiter, Jude, wird in Auschwitz ermordet. Seine Mutter rettet sich und ihren Sohn in den Bombennächten. Wolf Biermann geht 1953 in die DDR, studiert, arbeitet am Brecht-Theater, dem Berliner Ensemble. Und fällt auf - spätestens 1961 nach dem Mauerbau, als er selbst ein Stück schreibt, das diesen zum Thema hat. Zu kritisch, zu anstößig. "Kurz, wir wurden verboten, das Stück wurde nicht aufgeführt. Aber ich habe da gemerkt, dass ich Lieder dichten muss", sagt er heute.
Nur wer sich ändert, bleibt sich treu
Er eckt an, lässt sich nichts gefallen, wird schließlich verboten und sehr bekannt - keine Auftritte, keine Veröffentlichung in der DDR, zwölf Jahre lang. Seine Gedichte und Lieder erscheinen jedoch sehr erfolgreich im Westen. 1976 erlaubt das Regime einen Auftritt in Köln. Wolf Biermann nimmt an, singt. Und wird rausgeschmissen, ausgebürgert - ein Wort, das untrennbar mit ihm verbunden ist. Ein Scheidepunkt der Geschichte: Viele Bürger, dazu Schriftstellerinnen, Regisseure, Dichter begehren dagegen auf. Viele folgen Biermann in den Westen, der dort später dem Kommunismus abschwört.
"Warum schrieb ich eine 'Ermutigung' für meine Freunde? Weil ich sie selbst brauchte. Weil ich Angst hatte." Wolf Biermann
Es geht oft um alles bei Wolf Biermann. Und um ihn. Immer noch. Er hat nicht aufgehört zu dichten, zu singen, zu streiten. Eine bemerkenswerte Heiterkeit und Gelassenheit sind dazugekommen. "Nur wer sich ändert, bleibt sich treu", singt er im Juli 2023 zur Eröffnung einer Ausstellung über ihn selbst im Deutschen Historischen Museum in Berlin mit dem Titel: "Ein Lyriker und Liedermann in Deutschland".