Derya Yıldırım - die "Hamburger Perle"
Derya Yıldırım spielt eine Symbiose aus anatolischer Volksmusik, modernen Grooves und Andeutungen von Psychedelia, Jazz und Funk - sehr abwechslungsreich.
November 2022 - Derya Yıldırım sitzt vor ihrem Laptop, die schwarzen Haare kurz und fedrig geschnitten, steckt sie in einer weißen Weste mit Stehkragen und sieht ein bisschen aus wie eine Superheldin aus der Zukunft. Im Hintergrund blitzen leere Wände, dazwischen liegen Plastikfolie und verstreute Umzugskartons. Erst am Vortag ist die Musikerin aus Hamburg in ihr neues WG-Zimmer in Berlin eingezogen. Viel Zeit zum Auspacken bleibt ihr dabei nicht. Denn in den kommenden Wochen steht die Tour zur Veröffentlichung ihres neuen Albums an, "Dost 2", das sie am 10. Juni 2023 auf dem Elbjazz-Festival in Hamburg präsentiert. "Elbjazz hat mich schon immer begleitet, weil ich auch an der Hochschule für Musik und Theater in Hamburg studiert habe und viel mit den Jazzern abgehangen habe", sagt Derya. "Irgendwann hat man gemerkt, was das für ein Festival ist, und wer da alles spielt. Ich selbst habe da mal ein Konzert gesehen, und jetzt spiele ich selber dort, das finde ich toll", vollendet sie diesen Gedankengang und garniert ihn mit ihrem strahlenden Lächeln.
Derya Yıldırım studiert Bağlama als einzige Musikerin deutschlandweit
Doch Derya Yıldırım hat noch mehr zu bieten als nur ihr Lächeln. Sie ist eine junge Frau mit Migrationshintergrund, geboren in Hamburg-Veddel, dazu exzellent ausgebildet an zwei deutschen Musikhochschulen. Sie spielt Bağlama - das Instrument ist eine Lang-Saz, und nimmt in anatolischen Haushalten den Stellenwert ein, den ein Klavier hierzulande hat. Derya Yıldırım ist bisher die einzige Musikerin deutschlandweit, die ihr Instrument im Hauptfach studiert. Nur deswegen hat die selbsternannte "Perle aus Hamburg" ihre Heimatstadt verlassen und ist in die Hauptstadt gezogen.
Auch das macht Derya zur Ausnahmeerscheinung. "Es stimmt, ich habe mich schon immer als Einzelperson gesehen, in diesem Gefüge. Ich weiß, dass es eine Gemeinschaft gibt, in der du mit Menschen zusammen bist, die dich bestärken. Und das hat mir in meinem Werdegang gefehlt."
Dabei spielt Derya Yıldırım eine Schlüsselrolle, weil sie, so wie sie ist, in der Öffentlichkeit steht. Und damit einer neuen Generation als Beispiel dient. "Ich weiß durch die Nachrichten, die ich bekomme, dass viele inspiriert sind, Bağlama zu lernen oder auch wieder aufzunehmen, und jetzt sehen sie durch mich und meine Konzerte, dass das Instrument und die Musik auch spannend sein kann." Und setzt nach: "Nur weil ich was Positives in anderen auslösen kann, macht es Sinn für mich, weiterzumachen. Sonst wäre ich vielleicht Lehrerin geworden."
Yıldırım ve Şimşek- eine Band wie Blitz und Donnerschlag
Derya Yıldırım selbst hat in ihrer Musik eine Entwicklung durchlaufen. Spielte sie anfangs noch klassische, anatolische Stücke zusammen mit ihrer Cousine, der Schriftstellerin Duygu Agal. 2014 trat der Wendepunkt ein. Dann traf sie durch Vermittlung des DJs und Produzenten Booty Carrell auf ihre drei Mitmusikerinnen und Mitmusiker, und veränderte ihren Stil.
In ihrer "Grup Şimşek", bestehend aus Graham Mushnik, Antonin Voyant und Greta Eacott wird mit Weltmusik experimentiert. Dieser Sound funkt und knarzt, geht nach vorne und ist tanzbar, hat aber auch große, psychedelische Momente, oder ist getragen von einer fast cineastischen Atmosphäre. Über allem schwebt die beseelte Sopran-Stimme Deryas, die ihre Texte auf türkisch singt. Dabei trifft sie auch Menschen ohne diese Sprachkenntnisse mitten ins Herz.
"Dost" ist Freundschaft und Familie
Es kann aber auch vorkommen, dass andere Verwandte bei der Grup Şimşek auftreten. So wie ihre Tante Ayse Yıldırım, die auf dem aktuellen Album ein Volkslied auf dem Anrufbeantworter singt, oder besagte Cousine Duygu, die die Songtexte beisteuert. Denn auch das ist, was "Dost" ausmacht. Ein Zustand der Gemeinschaft, der mit Freunden und Familie zelebriert werden will und am Ende noch genug Platz für neue Wahlverwandte bietet.