200 Jahre "O Tannenbaum": Weihnachtslied mit besonderer Geschichte
"O Tannenbaum, O Tannenbaum" zählt zu den bekanntesten Weihnachtsstücken. Nur wenige wissen, dass der Klassiker vor 200 Jahren aus einem Liebeslied entstand.
Der festlich geschmückte Tannenbaum gehört rund um den Globus zu Weihnachten dazu: Er steht in privaten Wohnungen und Häusern, in Kaufhäusern, an Arbeitsplätzen, in Kirchen, auf dem Petersplatz in Rom oder vor dem Rockefeller Center in Manhattan. Das berühmteste deutsche Lied, das sich ihm widmet lautet "O Tannenbaum". Wie ist es entstanden?
Tragisches Liebeslied wird zum hoffnungsvollen Weihnachtslied
Vor 200 Jahren wurde das Lied in seiner jetzigen Form vom Leipziger Musiker, Lehrer, Komponist und Theologe Ernst Anschütz erschaffen. Er veröffentlichte den heutigen Weihnachtsklassiker 1824 zusammen mit anderen Werken in seinem "Musikalischen Schulgesangbuch". Grundlage war ein Liebeslied, das die Untreue einer jungen Frau im Kontrast zum immergrünen Tannenbaum als Symbol der Treue besingt. Anschütz formte es zum Weihnachtslied um.
Die Melodie und die erste Strophe eines älteren Tannenbaum-Liedes des Berliner Pädagogen August Zarnack behielt Anschütz bei, strich die restlichen Strophen und dichtete zwei neue dazu. Die Noten setzte er zweistimmig.
Auch "Fuchs, du hast die Gans gestohlen" und "Alle meine Entchen" im "Schulgesangbuch"
"Vermutlich handelt es sich um das erste Lied, das einen Zusammenhang zwischen Tannenbaum und Weihnachtsfest herstellt", schreibt der Musikwissenschaftler Tobias Widmaier vom Zentrum für Populäre Kultur und Musik der Universität Freiburg. Mit der Herausbildung spezifisch bürgerlicher Weihnachtsbräuche habe im 19. Jahrhundert auch der geschmückte Baum in den Wohnstuben Einzug gehalten, allerdings zunächst nur bei wohlhabenden Familien.
Anschütz stellte sein "Schulgesangbuch" von 1824 für den Unterricht bereit und führte dort Volkslieder ein, wie Widmaier erklärt. Dafür suchte er gefällige Melodien aus. Die Texte fand er im überlieferten Liedgut oder in Zeitungen und Zeitschriften, für die er arbeitete. Und er dichtete sie auch selbst. Unter den 1824 erschienenen Kinderliedern waren laut dem Freiburger Institut außer "O Tannenbaum" auch "Fuchs, du hast die Gans gestohlen" und "Alle meine Entchen schwimmen auf dem See".
Immergrüner Tannenbaum: Symbol für Beständigkeit
In der christlichen Kultur symbolisiert der Tannenbaum das ewige Leben und die Hoffnung auf Wiedergeburt. Die immergrünen Nadeln stehen für Beständigkeit und Leben auch in den kalten Monaten des Jahres. Anderswo gilt der Tannenbaum als Schutzsymbol gegen böse Geister und negative Energien, er steht für Glück und Wohlstand im folgenden Jahr oder er wird zur Wintersonnenwende gefeiert, um die Rückkehr des Lichts zu begrüßen.
Das Freiburger Institut hat Dutzende populäre und traditionelle Lieder erforscht - von "Ein feste Burg ist unser Gott" bis zu "Last Christmas". Der Geschäftsführende Direktor Michael Fischer betont: "Uns interessieren vor allem die Kontexte, in denen ein Werk entstanden ist." Schulgesangbücher wie das von Anschütz hätten sich zunächst an Lehrer gerichtet, sagt Fischer. Diese sollten die Lieder dann den Schülerinnen und Schülern vermitteln.
Wie ist der Erfolg des Liedes zu erklären?
Und warum werden bei bei "O Tannenbaum" die grünen Blätter besungen, obwohl dieser Baum doch Nadeln hat? Dies sei mit der historischen Sprache zu erklären: "Es wurde um 1800 von den runden, spitzigen Blättern der Fichten und Tannen gesprochen", erklärt Fischer.
Die Melodie ist leicht, das Lied insgesamt volkstümlich. Der Text hat die "Qualität einer bestimmten Unbestimmtheit", formuliert es Fischer. Besungen wird der Tannenbaum - nicht etwa der Christbaum. Anschütz habe das Lied zwar als ein religiöses Werk entworfen, aber es sei deutungsoffen. Das sei ein Grund für den großen Erfolg bis heute.