Grafikerin und Illustratorin Inge Jastram feiert 90. Geburtstag
Inge Jastram gehört zu den interessantesten zeitgenössischen Grafikerinnen Deutschlands. Nun ist die Künstlerin 90 Jahre alt - eine Würdigung.
Die Bilder der Inge Jastram sind voller Energie, meist mit starken Konturen radiert oder gezeichnet. Nie ging es ihr um oberflächliche Schönheit, sondern darum, was hinter dem Offensichtlichen steckt. "Du bist das, was du gezeichnet hast. In jedem Blatt ist ja ein Stück von einem selber mit drin", hat sie einmal gesagt. In ihrem Atelier im vorpommerschen Kneese bei Marlow entstanden seit den 1970er Jahren Grafiken mit fein beobachteten Alltagsszenen im gesellschaftlichen Kontext.
Bilder, die an George Grosz oder Henri de Toulouse-Lautrec erinnern. Inge Jastram hat die Künstler einmal als ihre Wahlverwandtschaft bezeichnet. Ein großes Thema für sie ist die Situation von Frauen: "Mich beschäftigen auch diese sozialen Probleme, ohne dass ich es richtig wollte und provoziert habe. Es fließt ein auch in politische Teilnahme gegen die Gewalt an Frauen oder wenn über Heiratsannoncen Frauen angeworben werden und müssen dann in irgendwelchen Bordellen sitzen - ich kann da nicht drüber hinwegsehen."
Von der Buchillustratorin zur Grafikerin
So entstanden zahlreiche Arbeiten gegen Ungerechtigkeit, soziale Kälte und Machtmissbrauch. Ihr Handwerkszeug erlernte die gebürtige Naumburgerin in den 50er-Jahren an der Kunsthochschule Weißensee - bei Lehrern wie Werner Klemke und Arno Mohr. Diese förderten vor allem ihr zeichnerisches Talent, so dass sich Inge Jastram zunächst vor allem als Buchillustratorin im Hinstorff Verlag und Eulenspiegel Verlag einen Namen machte - mit großer Leidenschaft für Literatur.
"Bei Klaus Mann konnte ich gar nicht mehr aufhören. Dieses unglaubliche Manuskript", schwärmt Inge Jastram. "Also Literatur ist für mich eine solche Anmache, wenn sie schön ist." Klaus Manns Gedichte hat sie illustriert, ebenso Lyrik von Wolfgang Borchert und Erich Kästner. In der Zeit des Untergangs der DDR entdeckte sie eine neue Technik für sich, die Radierung: ""Dieser Strich auf der Platte, wenn dann die Linie erscheint, der ist aufregender als wenn du mit der Feder zeichnest - für mich jedenfalls. Und es entsprach auch meiner Erregtheit in die Wendezeit hinein, dass ich diesen Widerstand der Platte auch brauchte."
Inge Jastram: Willensstark und bescheiden
Mit dieser Technik wurde Inge Jastram zu einer der bedeutendsten zeitgenössischen Radiererinnen. Viele Blätter hat sie der Zirkuswelt gewidmet. Ihre Clowns, für sie die Philosophen unter den Artisten, sind im Laufe der Jahre immer düsterer geworden. Inge Jastram stand jahrzehntelang im Schatten ihres berühmten Mannes Jo, mehr als 50 Jahre war sie mit dem Bildhauer verheiratet, hielt ihm den Rücken frei und zog die Tochter und die drei Söhne auf, hielt die Künstlerdynastie Jastram zusammen.
Nachdem Jo Jastram 2011 gestorben war, habe sie sich als Künstlerin noch stärker verwirklicht, erzählt ihr Freund, der Barnstorfer Galerist Peter Eymael: "Ja, sie stand sicherlich ein bisschen im Schatten, denn Jos Arbeiten waren überall präsent und von ihr weniger. Aber sie war schon immer gut." 2019 wurde Inge Jastram mit dem Kulturpreis des Landes Mecklenburg-Vorpommern für ihr Lebenswerk ausgezeichnet und bedankte sich in der für sie typischen Bescheidenheit: "Ich mag nicht auf dem Treppchen stehen. Ich kann mich noch nicht an den Gedanken gewöhnen, dass man meine Arbeit so wertet. Ich stell das immer in Zweifel."