"Clara Mosch": Künstler-Kollektiv mit Stasi-Spitzel
Die Künstlergruppe "Clara Mosch" hat in der DDR subversive Performances gemacht. Nach der Wende kam raus, dass ihr Fotograf ein Stasi-Spitzel war. Die Mitglieder Michael Morgner und Thomas Ranft blicken zurück.
Mindestens einmal im Jahr wird er traurig bis wütend: Für Michael Morgner hat die deutsche Wiedervereinigung zwischen Künstlern seines Alters nämlich nicht stattgefunden. Doch Morgner wäre kein Künstler, wenn er darauf nicht eine kreative Antwort hätte: "Da habe ich diese gesamtdeutsche Kunsthalle gemacht, die mit einer Claes-Oldenburg-Plastik beginnt, dann ein schönes Stillleben von Beckmann. Jetzt kommen wir näher zum Innenraum: Ottmar Hörl, zwei kleine Menschen, die sich gegenseitig mit der Pistole bedrohen. Für mich ist das: Ostdeutsche und westdeutsche Künstler unterhalten sich über Kunst."
"Clara Mosch": Das Land ein bisschen bewohnbarer machen
Am Fuße des Erzgebirges mahnt der Maler mehr Solidarität zwischen ost- und westdeutschen Kunstschaffenden an, fordert gemeinsame Ausstellungen und mehr Interesse für Leute wie ihn. Doch Morgner ist nicht der typische frustrierte alte Sachse. Sein Kunstrummel-verballhornendes Minimuseum beweist: Der Mann hat Humor. Den hat er aus legendären DDR-Künstler-Kollektiv-Zeiten, erzählt er: "Wir waren Freunde und hatten das gleiche Anliegen: dieses Land ein bisschen freudiger und bewohnbarer zu machen. So sehe ich den Sinn der 'Clara Mosch'."
Unter dem weiblichen Tarnnamen "Clara Mosch" sprengt Morgner mit seinem Kollektiv ab Mitte der 70er-Jahren in Karl-Marx-Stadt die Grenzen des Zeig- und Sagbaren. Initiator und sogenannter "Obermosch" ist sein Freund Thomas Ranft. "Wir wollten natürlich auch ein bisschen anders sein, als man von uns erwartet hat", sagt Ranft. "Um es mal ganz knapp und kalt zu sagen: Sozialistischen Realismus haben wir natürlich nicht gemacht."
Ihre Kunst ist alles Andere als eine Bebilderung der sozialistischen Helden-Ideologie. Außerdem weitete der bekennende Spielmatz Ranft das künstlerische Aktionsfeld für sich und seinen Trupp weit über den Keilrahmen hinaus aus. "Wir mussten aus dem Atelier mal raus, weil die Natur für die Künstler ja der größte Kunstgeber ist", erklärt Ranft. "Wir waren auch in Thüringen. Im Erzgebirge haben wir Pleinairs gemacht, aber die Hauptsache waren die an der See oben."
Künstlerischer Unsinn in dadaistischer Manier
Ein Dutzend spektakuläre Aktionen macht die "Mosch". Knapp die Hälfte davon finden auf Hiddensee, Rügen oder am Ufer des Schweriner Sees statt. Da, wo sich in der Saison Arbeiterkollektive erholen, macht ein meist männlicher Künstlertrupp die Gegend unsicher - und erfinden Kunstformate, die in der DDR eigentlich gar nicht vorgesehen sind, sagt Ranft: "Wir sind wirklich jeden Tag rausgegangen und haben gearbeitet - und haben natürlich auch Unsinn gemacht."
In dadaistischer Manier wird bei der "Mosch" aus Unsinn Sinn gemacht. Morgners gefilmte Seeüberschreitung wird später in Siebdruckgemälde verwandelt und aus den Ascheüberresten einer Land-Art-Aktion auf einer Waldlichtung wird das erste Multiple der DDR. "Das ist eine Kunst gewesen - da wusstest du, du kriegst dafür nur Dresche. Du wirst nie eine Mark damit verdienen, du kriegst nur politische Probleme", erzählt Morgner.
Ein Stasi-Spitzel in den eigenen Reihen
Erst nach dem Fall der Mauer erfährt die Gruppe, dass sie zeitweise unter der Beobachtung von über 100 Stasispitzeln stand - und dass ausgerechnet ihr Fotograf Ralf-Rainer Wasse der Haupt-IM (Inoffizieller Mitarbeiter) war. Aber auch damit geht die "Mosch" anders als erwartet um, erklärt Morgner: "Der Wasse, der eigentlich und vielleicht auch bloß zur Hälfte das Böse gewollt hat, hat gleichzeitig wie Mephisto das Gute hergestellt, indem er uns meisterhaft geknipst hat."
Sich immer wieder aufrichten, trotz aller Enttäuschung - das ist das "Mosch"-Motto und ein Markenzeichen von Morgner. In seinen Arbeiten taucht immer wieder die Form des Schreitenden auf - sein Symbol der friedlichen Revolution in der DDR. "Diktatur ist für den Menschen natürlich etwas Furchtbares, aber für die Kunst? Ich weiß es nicht - weil immer gesagt wird, hier konnte keine Kunst entstehen. Ich denke das nicht. Ich denke: gerade! Druck erzeugt Gegendruck", sagt er.
Heute bedruckt und bemalt er Zeitungsschnipsel, die unter Lagen von Seidenpapier versinken. In einem sächsischen Dorf, wo der Zuspruch zur AfD am höchsten ist, arbeitet Morgner an großen Collagen. Es ist, in guter alter "Mosch"-Tradition, sein vielschichtiger Kunst-Kommentar zum Politwahnsinn - nur eben von heute.