Eine Schwarz-Weiß-Fotografie des Altonaer Juden Leon Daniel Cohen, der 1944 in Auschwitz ermordet wurde. © Privatbesitz
Eine Schwarz-Weiß-Fotografie des Altonaer Juden Leon Daniel Cohen, der 1944 in Auschwitz ermordet wurde. © Privatbesitz
Eine Schwarz-Weiß-Fotografie des Altonaer Juden Leon Daniel Cohen, der 1944 in Auschwitz ermordet wurde. © Privatbesitz
AUDIO: Altona: Wo ein Thora-Schrein jüdische Geschichte erzählt (3 Min)

"Altona - Theresienstadt": Lebenswege jüdischer Hamburger

Stand: 06.11.2024 16:52 Uhr

Tiefgläubig gelang es Leon Daniel Cohen, seinen Thora-Schrein von Altona mit nach Theresienstadt zu nehmen. Er und seine Familie überlebten nicht. Der Schrein erzählt nun im Altonaer Museum von jüdischem Leben in Hamburg

von Kerry Rügemer

Ernst blickt Leon Daniel Cohen auf allen hier gezeigten Fotos. Als Soldat wird er im Ersten Weltkrieg verwundet, später heiratet er und bekommt mit seiner Frau zwei Kinder. Er hat eine Lederwarenhandlung in Altona und ist ein tiefreligiöser Mensch, der sich stark in der jüdischen Gemeinde Altonas engagiert. 1939 fertigt er den hier gezeigten Thora-Schrein.

Ein Schrein von der Größe eines Küchenstuhls

Ein Thora-Schrein (Arin Hakodesh), den der Hamburger Leon Daniel Cohen bei seiner Deportation 1942 mit nach Auschwitz nahm und sich nun im Besitz der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem befindet. © Noam Preisman, mit freundlicher Genehmigung des Freundeskreises Yad Vashem
Der aufwendig geschnitzte Thora-Schrein von Leon Daniel Cohen zeugt von einer tiefen Religiosität

Als er und seine Familie am 19. Juli 1942 nach Theresienstadt deportiert werden, nimmt Cohen seine hölzerne Thoralade mit. Sie hat die Ausmaße eines Küchenstuhls. Das war ungewöhnlich, wie Michael Tal sagt. Der Museumsdirektor aus Yad Vashem ist extra aus Jerusalem angereist. "Wer deportiert wurde, konnte nicht viel mitnehmen. Üblicherweise nahm man Kleidung oder Lebensmittel mit. Cohen nahm seinen Schrein mit - das zeigt, wie wichtig ihm dieser war", sagt Tal.

Gemeinsam mit Vanessa Hirsch vom Altonaer Museum hat der Jerusalemer Museumsdirektor die Lade hier ausgepackt. "Das war für uns alle, die wir dabei waren, unglaublich bewegend. Und wir alle haben daran gedacht, dass es nach Hause zurückgekehrt ist, quasi an den Ort, an dem es 1939 in ungefähr 500 Metern Entfernung von unserem Museum hergestellt worden war", sagt Vanessa Hirsch.

Aufwendig geschnitzte Verzierungen, segnende Hände und hebräische Bibelsprüche - der Thora-Schrein zeugt von aufwendiger Handarbeit. Eine jüdische Kinderheimleiterin nimmt die Lade nach ihrer Befreiung aus Theresienstadt mit, später übergibt sie sie an Yad Vashem, von wo aus sie als Leihgabe nach Hamburg gekommen ist. Vergangenes Jahr repräsentierte der Schrein Hamburg in einer Ausstellung zur Feier des 70. Gründungstages von Yad Vashem im deutschen Bundestag.

Auf Spurensuche zweier jüdischer Familiengeschichten

Eine Schwarz-Weiß-Fotografie der Hamburgerin Jüdin Käthe Starke-Goldschmidt aus dem Jahr 1922 © Stiftung Hamburger Gedenkstätten
Käthe Starke-Goldschmidt überlebte Theresienstadt und brachte bei ihrer Rückkehr nach Hamburg Zeichnungen und Dokumente aus dem KZ mit.

Vanessa Hirsch hat sich auf Spurensuche der Familiengeschichte der Cohens gemacht. Parallel dazu erzählt die Ausstellung das Leben der Altonaer Jüdin Käthe Starke-Goldschmidt. Im Gegensatz zu der Familie Cohen, die 1944 in Auschwitz ermordet wurde, überlebte Starke-Goldschmidt das Konzentrationslager Theresienstadt.

"Bei ihrer Rückkehr nach Hamburg hat sie Zeichnungen mitgebracht, die von Inhaftierten heimlich hergestellt worden waren, weil die Inhaftierten den Wunsch hatten, das erlittene Unrecht festzuhalten, Zeugnisse zu schaffen und auch für die Nachwelt zu bewahren", erklärt Vanessa Hirsch. Die Zeichnungen zeigen Frauen, die in einem Torbogen offensichtlich frierend auf die Essensausgabe warten, Menschenansammlungen in einem eingemauerten Hof. Diese Bilder in der Ausstellung zu betrachten, ist bewegend.

Weitere Informationen
Ausgemergelte Männer liegen dicht an dicht in Holzkojen - Aufnahme von 1944 aus einer Gefangenen-Baracke in Auschwitz. © picture-alliance / Mary Evans Picture Library/WEIMA

Konzentrationslager:"Alltag" in der Hölle

Das Leben im KZ war ein Martyrium für die Gefangenen. Der Willkür der SS vollkommen ausgeliefert endete es oft mit dem Tod. mehr

Briefe von den Eheleuten Cohen, Fotos und eben der Thoraschrein - hier werden zwei jüdische Lebenswege sehr persönlich erzählt. Das macht diesen Teil unserer Geschichte erlebbar.

In Yad Vashem sind mittlerweile mehr als 40.000 Objekte aus dem Holocaust zusammengetragen worden. "Diese Objekte sollen an die Stimme der ermordeten Juden erinnern und sie damit am Leben erhalten", sagt Yad Vashem-Museumsdirektor Michael Tal.

Weitere Informationen
Ein Porträtbild in Schwarz-Weiß zeigt Anne Frank beim Schreiben. © IFTN UnitedArchives 06039

Anne Frank: Das Vermächtnis eines Holocaust-Opfers

Sie starb im KZ Bergen-Belsen und wurde durch ihr Tagebuch berühmt. Der Anne-Frank-Tag an ihrem Geburtstag setzt ein Signal gegen Antisemitismus. mehr

Eine historische Schwarz-Weiß-Aufnahme der Synagoge am Bornplatz im Hamburger Grindelviertel. © wikimedia

Auf den Spuren jüdischen Lebens in Hamburg

Ende des 16. Jahrhunderts kamen die ersten Juden aus Portugal ins damals dänische Altona. Etliche Orte erinnern an die bewegte Geschichte der Juden in der Hansestadt. mehr

Auschwitz-Überlebende Eva Umlauf steht am Wasser. © Screenshot
3 Min

Als Zweijährige nach Auschwitz - Eva Umlauf erinnert sich

Bei einer Lesung in Stralsund erzählt die Zeitzeugin, dass sie der letzten Vergasung entkam, weil ihr Zug drei Tage Verspätung hatte. 3 Min

Oliver von Wrochem © picture alliance/dpa Foto: Jonas Walzberg

Verändert der filmische Fokus auf Auschwitz die Erinnerungskultur?

Für die Filmbranche sind der Holocaust und Auschwitz derzeit ein großes Thema. Ein Gespräch mit dem Historiker Oliver von Wrochem. mehr

"Altona - Theresienstadt": Lebenswege jüdischer Hamburger

Die Ausstellung im Altonaer Museum beleuchtet die Schicksale von Leon Daniel Cohen und Käthe Starke-Goldschmidt.

Art:
Ausstellung
Datum:
Ende:
Ort:
Altonaer Museum
Museumstraße 23
22765 Hamburg Hamburg
Öffnungszeiten:
10 - 17 Uhr
In meinen Kalender eintragen

Dieses Thema im Programm:

NDR 90,3 | Kulturjournal | 06.11.2024 | 19:00 Uhr

Schlagwörter zu diesem Artikel

Kunsthandwerk

Hamburger Geschichte

Ein Bild aus der Austellung "Deutschland um 1980". © Screenshot
3 Min

"Deutschland um 1980": Zeitreise im Altonaer Museum

Die Ausstellung zeigt Fotografien von Hausbesetzungen, Punks in Ost und West und Mode in Neonfarben aus der Zeit von 1975 bis 1985. 3 Min

Ein leerer Bilderahmen hinter Polizei-Absperrband. © NDR Foto: Foto: [M] Aleksandr Golubev | istockphoto, David Wall | Planpicture

Kunstverbrechen - True Crime meets Kultur

Lenore Lötsch und Torben Steenbuck rollen spektakuläre Kunstdiebstähle auf. Sie nehmen uns mit an Tatorte, treffen Zeugen und Experten. mehr

Eine Grafik zeigt einen Lorbeerkranz auf einem Podest vor einem roten Hintergrund. © NDR

Legenden von nebenan: Wer hat Ihren Ort geprägt?

NDR Kultur erzählt die Geschichte von Menschen, die in ihrer Umgebung bleibende Spuren hinterlassen haben - und setzt ihnen ein virtuelles Denkmal. mehr

Der Arm einer Frau bedient einen Laptop, der auf einem Tisch in einem Garten steht, während die andere Hand einen Becher hält. © picture alliance / Westend61 | Svetlana Karner

Abonnieren Sie den NDR Kultur Newsletter

NDR Kultur informiert alle Kulturinteressierten mit einem E-Mail-Newsletter über herausragende Sendungen, Veranstaltungen und die Angebote der Kulturpartner. Melden Sie sich hier an! mehr

NDR Kultur App Bewerbung © NDR Kultur

Die NDR Kultur App - kostenlos im Store!

NDR Kultur können Sie jetzt immer bei sich haben - Livestream, exklusive Gewinnspiele und der direkte Draht ins Studio mit dem Messenger. mehr

Mehr Kultur

Charlie Hübner sitzt an einem Tisch. © Thomas Aurin

Charly Hübner als wandelbarer Antiheld in "Late Night Hamlet"

Munteres Late Night Geplauder trifft auf Shakespeare-Drama - so das Setting für den Solo-Abend im Schauspielhaus Hamburg. mehr