Sportfotografie: Wenn die Zeit stehen bleibt
Das Foto des brasilianischen Profi-Surfers Gabriel Medina vor Tahiti ging um die Welt - es ist nicht das Einzige. Seit Erfindung der Fotografie im 19. Jahrhundert sind etliche berühmte Sportfotos entstanden. Was muss ein Foto haben, damit es im kollektiven Gedächtnis hängen bleibt?
Es war eine sportliche Sensation, als der gerade mal 17-jährige Boris Becker 1985 das Tennisturnier von Wimbledon gewann. Dabei ist bis heute, fast 40 Jahre später, nicht nur die überragende sportliche Leistung des jüngsten Wimbledon-Gewinners in Erinnerung - es sind auch die Fotos von ihm.
Wie jenes, das dem Fotografen Rüdiger Schrader gelang. Er drückte genau in der Millisekunde auf den Auslöser, als Becker aus einer Art Flugbewegung heraus den Ball über das Netz schmetterte - der sogenannte Becker-Hecht. Becker scheint auf dem Foto parallel zum Centercourt zu schweben.
Momente des Triumphs vs. Augenblicke der Enttäuschung
Wenn sich Bilder ins kollektive Gedächtnis einbrennen, habe das immer etwas damit zu tun, dass sie einen besonderen Moment konservieren, sagt Steffen Siegel, Professor für Theorie und Geschichte der Fotografie an der Folkwang Universität der Künste in Essen: "Fotografie friert einen ganz speziellen Moment ein. Ich denke, wenn es so etwas gibt wie 'ikonische' Bilder, die fotografisch zum Sport etwas beitragen, dann sind es solche, die dann eine bestimmte Form der Nachträglichkeit stiften. Einen bestimmten Moment herausstellen, der symbolisch überhöht werden kann."
Das gilt gleichermaßen für den Moment des Triumphs als auch dem der Niederlage. Mit Tragik und Enttäuschung aufgeladen ist zum Beispiel ein berühmtes Foto von 1966. Es zeigt den zerknirschten Uwe Seeler, Kapitän der deutschen Fußballnationalmannschaft, nach dem verpassten WM-Sieg gegen England. Auf dem Bild von Sven Simon verlässt er mit tief gesenktem Kopf, gestützt von Ordnern den Platz. In Markus Gilliars' Fußball-WM-Bild von 2014 hingegen werden Tränen der Erleichterung und Freude vergossen. Nach dem 1:0-Sieg gegen Argentinien liegen sich Bastian Schweinsteiger und Teamkollege Thomas Müller weinend in den Armen.
Zurschaustellung von Kraft und sportlicher Überlegenheit
Nicht immer sind es solche ungeniert zur Schau gestellten Emotionen, die Sportfotos berühmt werden lassen. Häufig ist es auch nur pure körperliche Pose - Ausdauer, Muskeln, Willenskraft und das Ziel klar vor Augen. Ein Schwarz-Weiß-Foto zeigt Leichtathlet Jesse Owens, vornübergebeugt, eingefroren in schneller Vorwärtsbewegung. Das Bild dokumentiert seinen legendären Lauf bei den Olympischen Spielen 1936 in Berlin.
Die Zurschaustellung von Kraft und sportlicher Überlegenheit, das Heldenhafte, zieht sich wie ein roter Faden durch die Sportfotografie, bedingt sie geradezu, meint Fotoforscher Steffen Siegel: "Das ist nun etwas, was den Sport schon immer begleitet hat. Und Sport selbst ist ja schon eine bestimmte Form der Überhöhung. Wir wissen ja, dass sich mit Sport Höchstleistungen verbinden, die wir als Amateure keinesfalls einholen können. Das überträgt sich natürlich auch auf den Mediengebrauch."
Oft verbinden sich Sport- und Politik-Geschichte
Heldenpose auch in Neil Leifers Bild vom berühmten Schwergewichts-Boxkampf Muhammad Alis gegen Sonny Liston aus dem Jahre 1965: Der schweißglänzende Ali thront darauf schreiend über seinem gerade k.o.-geschlagenen Kontrahenten, der zu seinen Füßen im Ring zu Boden gegangen ist. Fotos wie dieses festigten Alis Ruf als Superstar, sagt Fotoforscher Siegel: "Man darf vermuten, dass dieser Status nicht nur mit seiner sportlichen Leistung zu tun hat, sondern auch mit seiner medialen Präsenz, der er sich sehr bewusst war und die er über Film, aber eben auch über Fotografie ganz genau gesteuert hat."
Ein Bild, das stark politisch aufgeladen ist, stammt von 1968. Es zeigt die beiden schwarzen US-Amerikaner Tommie Smith und John Carlos bei den Olympischen Spielen in Mexiko. Die beiden Medaillengewinner stehen auf dem Siegertreppchen und recken als Symbol der Black-Power-Bewegung die geballten Fäuste in die Luft: "Das ist ein Bild, das auf dem Höhepunkt der Auseinandersetzung um die Rechte von Schwarzen Menschen in den USA beides - Sportgeschichte und politische Geschichte - geschrieben hat. Eine Geschichte, die ganz wesentlich von uns heute so wahrgenommen wird, weil es diese eine Fotografie gibt."
Eher wenige historische Sportfotografien mit Frauen
Auffällig ist: Im Kanon bekannter Sportfotografien finden sich verhältnismäßig wenige Abbildungen von Frauen. "Es ist ja tatsächlich so, dass es viele Sportarten gibt, die erst in ganz jüngster Zeit überhaupt für Frauen zugelassen wurden. Das mag ein Grund sein", erklärt der Fotoforscher. "Das ändert sich ja glücklicherweise."
Bei genauerem Suchen finden sich natürlich auch bedeutende Sportfotografien, die Frauen zeigen. Auf einem berühmten Bild ist etwa die junge DDR-Eiskunstläuferin Katharina Witt zu sehen. Auf dem Foto verharrt sie tief versunken in einer Pose bei den Olympischen Winterspielen 1988. Die Magie, mit der sich Witt in Calgary mit ihrer umjubelten Interpretation der "Carmen" die Goldmedaille ertanzte, überträgt sich auch heute noch.