Sportfotograf Marvin Güngör: Auf der Suche nach "dem anderen Bild"
Am Sonntag gehen die Olympischen Spiele in Paris zu Ende. Welches Bild von ihnen bleibt, das hängt auch von den Fotos ab, die in der Zeit geschossen und veröffentlicht werden. Zum Beispiel von Sportfotograf Marvin Güngör aus Hannover.
Marvin Ibo Güngör studierte in Hannover Fotojournalismus und arbeitet heute als freier Fotograf. 2022 hat er das "beste Sportfoto des Jahres" geschossen: Lionel Messi, der nach dem Gewinn der Fußball-WM den Pokal in die Höhe streckt.
Herr Güngör, was sind die Herausforderungen für Sie als Fotograf, wenn Sie unterschiedliche Sportarten fotografieren? Zum Beispiel beim Tischtennis: Da ist dieser kleine Ball, dieser kleine Tisch und diese schnellen Bewegungen.
Marvin Güngör: Vor allem beim olympischen Tischtennis ist das ein ganz anderes Niveau. Da sind die Bewegungen noch einmal deutlich schneller, als ich es aus der Zweiten Bundesliga gewohnt bin. Das ist schon herausfordernd, da den richtigen Moment zu erwischen, wo die Gestik stimmt, wo die Haltung des Schlägers stimmt, wo die Emotionen stimmen. In Deutschland ist ja der Hauptsport Fußball, und bei den Olympischen Spielen ist es spannend, weil man viele Sportarten fotografieren kann, die man sonst nicht so oft vor die Linse bekommt. Gerade in der Sportfotografie ist es immer wichtig, dass man die Sportart ein bisschen kennt. Ich muss da aber gestehen, dass ich die eine oder andere Sportart nicht perfekt kenne, dass ich nicht weiß, was da die elementaren Momente sind oder wie lange es dauert. Das muss man wissen, um zu erahnen, wann ein Athlet jubeln oder in Tränen ausbrechen wird. Dafür muss man die Sportart gut kennen.
Auf der einen Seite geht es für Sie darum, ein sportliches Ereignis zu dokumentieren, also eine Bewegung oder einen Moment. Auf der anderen Seite hat so ein sportliches Ereignis auch einen Hintergrund. Wie müssen Sie da herangehen, um ein gutes Bild hervorzubringen?
Güngör: Bei den Olympischen Spielen sind unheimlich viele Fotografen, und man versucht, nicht das Bild zu machen, das jeder macht. Man versucht auch immer, so ein bisschen hinter die Kulissen zu gucken, Momente abseits des eigentlichen Sports zu finden oder auch mal den spannenden, skurrilen, anderen Moment zu sehen.
Müssen Sie vorher auch eine Beziehung zu demjenigen aufbauen, den Sie porträtieren oder fotografieren?
Güngör: Das ist bei Olympia natürlich sehr schwierig, weil man die Leute selten kennt. Aber wenn man zum Beispiel länger mit einem Verein zusammenarbeitet oder die Leute länger kennt, dann passiert das natürlich. Dann weiß man auch, wie der eine oder andere Sportler reagieren wird. Man weiß vielleicht auch, wo die Situationen entstehen werden. Beim Skaten hat man zum Glück die Möglichkeit, dass man schon mal gucken kann, wo der ein oder andere Trick stattfinden wird, um dann vielleicht an der richtigen Stelle zu stehen. Aber ganz wichtig ist auch, immer flexibel zu bleiben. Es kann an jeder Ecke immer irgendwas passieren.
Ist es so, dass Sie wissen, dass es dieser Loop in der Luft sein muss? Oder was will der Markt? Was müssen Sie letztendlich anbieten?
Güngör: Der Markt ist inzwischen ein weltweiter Markt. Ich würde fast behaupten, dass darunter die Fotografie ein bisschen leidet, weil man immer schneller sein muss. Die Bilder müssen in Live-Tickern verwendet werden, und da reicht manchmal schon ein einfaches Kopfporträt aus, weil es schneller da ist als das raffinierte Foto, das man lang vorbereitet und was ein bisschen Ausdauer benötigt.
Was ist für Sie der besondere Reiz an der Sportfotografie? Warum sind Sie Sportfotograf geworden?
Güngör: Für mich ist es superspannend, nah an den Leuten dran zu sein. Ich glaube, man kriegt noch mal andere Einblicke, als wenn man vorm TV sitzt und sich das anschaut. Manchmal ist das TV auch näher dran; ich habe es schon ganz oft erlebt, dass ich bei einem Wettbewerb war und am Ende im Fernsehen gesehen habe, dass da auch noch etwas passiert ist, was ich gar nicht mitbekommen habe. Aber trotzdem kriegt man einen Eindruck, wie das alles passiert, und man hat einen Überblick über alles. Was für mich auch einen Reiz ausmacht, ist am Ende die Veröffentlichung, wenn Bilder von mir in der Zeitung, einem Magazin oder woanders zu sehen sind und andere Leute das betrachten und vielleicht etwas mitnehmen können - und wenn es nur ein kleines Schmunzeln ist oder eine Freude.
Gibt es Bilder, die für Sie unvergesslich sind?
Güngör: Ich glaube, es wird immer schwieriger. Sie reden von ikonischen Bildern, die bei uns allen hängen bleiben. Dadurch, dass es so eine Masse an Bildern gibt - von jedem Wettbewerb gibt es inzwischen hunderte von Bildern, die überall verwendet werden -, wird es immer schwieriger, dass das eine Bild hängen bleibt. Aber das gibt es immer mal wieder, das dann doch ein oder zwei Bilder irgendwie den Weg durch den ganzen Fotomarkt schaffen. Wenn wir auf einen Sport gucken, ist es manchmal nicht nur das Bild an sich, sondern es sind ikonische Momente. Ich erinnere mich zum Beispiel an die WM in Katar, als Messi Weltmeister wurde - und ähnlich wie von Maradona viele Jahre zuvor gab es ein Foto von ihm, wie er von seinen Kollegen in die Luft gehoben wird mit dem Pokal. Das Bild war einfach ein ikonischer Moment.
Das Interview führte Agnes Bührig.