"Die Aussprache": Freiheitskampf als Traumabewältigung
Frances McDormand, Claire Foy und Rooney Mara machen die Romanverfilmung "Die Aussprache" über eine Frauenbewegung in einer mennonitischen Glaubensgemeinschaft mehr als sehenswert.
Sie sind abgeschirmt von der Außenwelt und leben nach strengen patriarchischen Regeln. Frauen erhalten nur sehr wenig Bildung, können weder lesen noch schreiben und sind Übergriffen der Männer schutzlos ausgeliefert. Die kanadische Autorin und Journalistin Miriam Toews kennt das Leben in einer mennonitischen Glaubensgemeinschaft aus eigener Erfahrung. Ihr Buch basiert auf den wahren Fällen der sogenannten "Ghost Rapes", bei denen in einer bolivianischen Mennonitengemeinde 130 Frauen und Mädchen vergewaltigt wurden. Der Film verlegt die Geschichte nach Kanada. Als einer der Täter gesehen wird, bricht die Mauer des Schweigens:
"Wir wissen, die Männer haben uns angegriffen. Es waren keine Geister oder der Teufel, wie man uns lange Glauben machen wollte. Wir wissen, dass wir uns das nicht eingebildet haben. Man hat uns mit einer Betäubung für Kühe bewusstlos gemacht. Wir wissen, man hat uns verletzt, infiziert und geschwängert und in Angst versetzt und irre gemacht. Und einige von uns sind tot!" Filmszene
Vergeben und vergessen oder bleiben und kämpfen?
Zum ersten Mal treffen sich die Frauen und sprechen über die Ereignisse. Um die Täter vor dem Zorn der Frauen zu schützen, bringen die anderen Männer sie in die Stadt, wo die Polizei sie in Haft nimmt. 48 Stunden Zeit haben die Frauen nun, um darüber zu beraten, was zu tun sei: Vergeben und vergessen, wie die Männer der Kolonie es verlangen? Oder bleiben und kämpfen? Oder Flüchten? Drei Generationen von Frauen versammeln sich auf dem Dachboden einer Scheune zum geheimen und selbstaufklärerischen Diskurs um die eigene Bedeutung und den Schutz ihrer Kinder:
"Wäre es nicht von Vorteil, bevor wir die Pros und Contras von Bleiben und Kämpfen auflisten, darüber zu reden, wofür genau wir kämpfen? Vielleicht brauchen wir ein Manifest, das unsere Vorstellungen der Kolonie beschreibt, nachdem wir gewonnen haben?" Filmszene
"Die Aussprache": Herausragendes Kino
Die Regisseurin Sarah Polley hat großartiges, intensives Schauspielerinnenkino inszeniert. Ihr Film braucht keine expliziten Bilder - die Gesichter der Frauen, ihr sich abzeichnender Kampfgeist, das Streben nach Freiheit, von der Großmutter bis zur Enkelin, sprechen Bände. Dabei geht es hier eben nicht um die einzelne, sondern um die Entwicklung der Gemeinschaft.
Das Kammerspiel lebt von der exzellenten Darstellung seiner Protagonistinnen, allen voran Claire Foy, die junge Queen Elisabeth aus "The Crown", und Rooney Mara aus "Nightmare Alley". Auch die vierfache Oscarpreisträgerin Frances McDormand ist mit dabei und hat "Die Aussprache" mit produziert. "Als ich Miriams Buch gelesen hatte, wurde mir klar, dass ich genau dieses Thema, nämlich die Zukunft unserer Gender-Politik und die Abschaffung all der herrschenden Missstände, in einer humorvoll-intellektuellen Debatte sehen wollte", so McDormand.
Wer herausragendes Schauspielerkino sehen möchte, das unprätentiös und ohne Umschweife die Hürden, Möglichkeiten und Hoffnungen einer sich emanzipierenden Gesellschaft zeigt, ist hier goldrichtig. Ob es für einen Oscar reicht bleibt abzuwarten. "Die Aussprache" ist in der Kategorie "Bester Film" nominiert.
Die Aussprache
- Genre:
- Drama
- Produktionsjahr:
- 2022
- Produktionsland:
- USA
- Zusatzinfo:
- Mit Rooney Mara, Claire Foy, Jessie Buckley, Frances McDormand u.a.
- Regie:
- Sarah Polley
- Länge:
- 104 Minuten
- FSK:
- ab 12 Jahre
- Kinostart:
- ab 9. Februar 2023