"Warten auf den Regenbogen": Bildband zeigt das unbekannte Nordkorea
Der Fotografin Xiomara Bender ist ein intimer Blick in die Alltagswelt der abgeschotteten nordkoreanischen Gesellschaft gelungen. Zu sehen sind ihre Bilder mehrerer Reisen in einem neuem Fotoband.
Stadien voller Menschen, aufgereiht zu perfekten Massenchoreografien: Propaganda-Bilder, wie man sie aus dem kommunistischen Nordkorea zur Genüge kennt. Auch in Xiomara Benders Bildband "Warten auf den Regenbogen" kommen sie vor. Allerdings geht sie viel näher heran. Die Beteiligten stechen aus der anonymen Masse heraus, sodass man beim Betrachten unwillkürlich beginnt, individuelle Züge zu suchen. Wer sind diese Menschen? Was bewegt sie? Was denken und fühlen sie?
"Xiomara Bender verfügt über das seltene Talent, den Kern der Menschen durch ihre Linse zu enthüllen. Ihre Fähigkeit, eine echte Verbindung zu ihren Motiven herzustellen, ist wirklich bemerkenswert", schreibt der britische Fotograf Jimmy Nelson im Vorwort des Bildbands "Warten auf den Regenbogen". Und tatsächlich stellt die Fotografin die Menschen so dar, dass sie eben nicht durch den propagandistischen Filter wahrgenommen werden, nicht klischeehaft daherkommen. Bei ihren Reisen durch das Land gelingen ihr immer wieder erstaunlich nahe Darstellungen der Nordkoreaner.
Die Menschen in Nordkorea - abseits der Schlagzeilen
Es sind alltägliche, flüchtige Begegnungen, bei denen Bender auf den Auslöser drückt. Nichts Gestelltes also. Man sieht Menschen, die aus Bussen aussteigen und dabei scheu in die Kamera schauen. Soldaten auf Lastwagen auf dem Weg zur Parade, fröhlich-winkend - dabei erstaunlich offen und freundlich. Wir sehen modebewusste junge Frauen, die sich in Parks zum Plaudern treffen. Alles andere als schüchtern oder unterdrückt wirken ihre Blicke.
"Viele der porträtierten Menschen begegneten mir mit so nicht erwarteter Offenheit. Ein Lächeln, wenn sie merkten, dass sie fotografiert werden würden, und manchmal sogar der Wunsch, sich vorteilhaft zu präsentieren - eine Anmutung liebenswerter Eitelkeit, die menschlich und berührend war", sagt die in Berlin lebende Fotografin Xiomara Bender in einem vom Verlag veröffentlichten Interview. Auf ihren insgesamt neun Reisen durch Nordkorea zwischen 2011 und 2019 habe sie sich ein eigenes und unvoreingenommenes Bild von den Menschen machen wollen - abseits der Schlagzeilen, betont Bender: "Mit jeder weiteren Reise verstärkte sich meine Neugierde und der Wunsch, die Geschichten und das Wesen dieser Menschen festzuhalten und zu teilen. Das Beobachten und Fotografieren vor Ort erweiterte meinen Blickwinkel."
Von den Behörden halbwegs unbehelligt habe sie bislang ihre Foto-Touren durch das hermetisch abgeschottete Land machen können. Wenn auch begleitet von staatlichen Aufpassern, hätten sich für sie in Nordkorea dennoch viele Möglichkeiten authentischer Fotografie ergeben: "Vielleicht begegnet man einer aufgeschlossenen jungen Dame weniger skeptisch, aber Steine wurden mir nicht in den Weg gelegt. Im Gegenteil."
Fremdartig entrückte Porträts - trotz aller Nähe
Ein kleines Mädchen vor einer grauen Betonmauer, dahinter schmucklose Hochhäuser und farblose Plattenbauen. Das Kind wirkt wie ein Farbklecks in dieser Tristesse: gelbe Hosen, rosafarbenes T-Shirt mit blauen Herzchen darauf. Das vielleicht zweijährige Kleinkind schaut neugierig, sehr direkt, vielleicht ein klein wenig misstrauisch. "Das Mädchen lief vor mir auf der Rolltreppe, aus einem fast 200 Meter tiefen U-Bahnhof kommend", so Bender. "Sie war mit ihrem Großvater unterwegs und hatte sich ein paarmal umgedreht. Oben angekommen habe ich dann zum Großvater kurz Kontakt hergestellt und bedeutet, dass ich seine Enkelin gerne fotografieren würde. Er willigte sofort lachend ein."
Der Bildband "Warten auf den Regenbogen" lässt uns näher heranrücken an die Menschen in Nordkorea. Sie erscheinen uns weniger rätselhaft, weniger anonym als in anderen Darstellungen aus dem Land. Doch die Fotos sollten nicht darüber hinwegtäuschen, dass es weiter regiert wird von einem repressiven Regime und dass die Menschen dort alles andere als frei sind. Trotz aller vermeintlicher Nähe erscheinen die Porträtierten in Xiomaras Benders Buch mitunter fremdartig entrückt, als hinge ein unsichtbarer Schleier zwischen ihnen und uns, den Betrachtenden. Aber genau das macht die Fotografien so spannend, weil wir beim Anschauen besonders forschend hinsehen - beim Versuch das Seelenleben der Abgebildeten zu ergründen.
Warten auf den Regenbogen. Zehn Jahre Nordkorea
- Seitenzahl:
- 208 Seiten
- Genre:
- Bildband
- Verlag:
- teNeues
- Bestellnummer:
- 978-3-9617-1554-1
- Preis:
- 60 €