Zwischen Kreuz und Davidstern - Ilja Richter im Gespräch
Ilja Richter spricht im Interview über seine jüdischen Wurzeln und seine protestantische Prägung, seine Liebe für das "Vaterunser" und seine Abneigung dagegen, seine Anrufe bei Gott und seine Skepsis gegenüber Jesus.
"Lieber Gott als nochmal Jesus" nennt Ilja Richter sein neues Buch. Es ist eine Mischung aus Glossen und Gedichten, Zitaten und Fakten und gewährt einen Einblick in die ganz persönliche Geschichte des "schreibenden Schauspielers" zwischen allen Stühlen, wie er sich selbst bezeichnet: als Sohn einer Jüdin, die die Shoah dank einer gefälschten "arischen" Identität überlebte, und eines Kommunisten, der während der NS-Diktatur jahrelang in Konzentrationslagern interniert war. So sucht Ilja Richter nach einer biografischen und religiösen Identität "zwischen Kreuz und Davidstern". Einen Auszug des Gesprächs lesen Sie hier, das ganze Gespräch können Sie in der ARD Audiothek und überall, wo es Podcasts gibt, hören.
Herr Richter, Ihrem neuen Buch "Lieber Gott als nochmal Jesus" haben Sie ein Zitat von Julian Barnes vorangestellt: "Ich glaube nicht an Gott, aber ich vermisse ihn." Was genau vermissen Sie?
Ilja Richter: Alle Glaubenden, so auch ich, rufen ihn an - also nenne ich es oft auch ein "Telefonat". Man spricht mit Gott nicht unmittelbar, so wie im Alten Testament, wenn Moses auf dem Berg unmittelbar mit ihm spricht, sondern nur seelisch. Wenn man dann in sich hineinhört, dann könnte das, was man da hört, von sich, durch die Seele, den Intellekt, ein "Telefonat mit Gott" sein. Denn er hat uns den Intellekt gegeben, die Sensibilität, das Gedächtnis, das Herz, das Gefühl, die negativen wie die positiven Dinge, - es kommt darauf an, was wir daraus machen. Deshalb kann man es ein "Telefonat mit Gott" nennen. Deshalb: Lieber Gott als nochmal Jesus, weil Gott immer da ist, sage ich zu Thomas Pago (Richters Verleger, Anm. d. Red.) in dem Buch. Wenn Jesus nochmal auf die Welt kommt, kommt es ganz auf die Stimmung des Herrn an. Darauf sagt er: Von Gott oder von Jesus? Darauf sage ich: Wie soll ich denn das wissen? Sie sind doch hier der Katholik.
Das Vaterunser ist dem Hebräischen entnommen. Wenn man das jüdische Gebet inhaltlich mit dem Vaterunser vergleicht, gibt sich das nicht viel. Sie können beides beten?
Richter: Ich kann das Vaterunser besser beten als das Hebräische, weil ich das viel öfter gehört habe in meinem protestantischen Religionsunterricht. Das Problem bei diesem Vaterunser, also bei diesem "Telefonat mit Gott", wurde in den letzten Jahren stärker, weil mir der Übersetzer missfällt. Da nun mal Luther ein so hervorragender Übersetzer ist - und das meine ich ohne Ironie -, ist das im Positiven wie im Negativen so. Seine antisemitische Hetze ist so modern, so zeitlos geschrieben, dass man denkt, es ist unmittelbar ein Text aus dem "Stürmer" von 1936. Andererseits ist das Vaterunser so großartig übersetzt, dass ich es jahrzehntelang gerne gesprochen habe und es jetzt, wenn ich es ganz persönlich ausdrücken darf, in einer sehr persönlichen, abgewandelten Weise spreche. Ich kriege es nicht mehr so ganz geregelt. Das hat wirklich mit Luthers Judenhass zu tun.
Was hat Ihre Mutter dazu bewogen, Ihnen zu sagen, sich in Ihrer Kindheit als Protestant zu "tarnen"?
Richter: Das ist eine Kölner Phase. Wir gingen von Berlin nach Köln, da war ich sechs Jahre alt, und da alles drumherum katholisch war, wollte sie nicht so weit gehen, zu sagen, ich sei Katholik, weil man das sofort gemerkt hätte, sondern sie sagte mir: Sag einfach Protestant. Mein Vater fand meinen Hang zur Religion fast komisch. Ich liebte den protestantischen Religionsunterricht, bei dem es zu Gott reichte, aber nicht bis zu Jesus. Aber mit beidem beschäftige ich mich, sonst gäbe es das Büchlein nicht. Das mit dem "tarnen" war sehr ausgeprägt in Köln, wo wir nur zwei Jahre gelebt haben. Das war ein schlimmes Leben in einer Ghetto-Situation.
Als Sie in den 1960er-Jahren Ihre Bühnenkarriere begannen, haben Sie öffentlich nie darüber gesprochen, dass Sie eine jüdische Mutter hatten, oder?
Richter: Sie haben völlig Recht: Das waren Ängste. Mein Papa, ein sehr mutiger Mann, als Widerstandskämpfer, als Kommunist im KZ gewesen, der hatte auch Bedenken. Die beiden wollten das nicht, und das haben sie auch schon gesagt, bevor ich diese Bühnenkarriere gemacht habe. "Reden wir nicht drüber" - das ist repräsentativ für sehr viele jüdische Familien, wenn sie nicht gerade religiös sind oder wenn sie jüdisches Leben gelebt haben, es aber nicht nach außen tragen. Das ist ein Unterschied, den Sabbat oder die hohen Feiertage einzuhalten - das fand bei uns nicht statt.
Das Gespräch führte Dietrich Brants. Das komplette Interview hören Sie oben auf dieser Seite - und in der ARD Audiothek.