Der wunderbar komische "Toni Erdmann" mit Peter Simonischek
Für "Toni Erdmann" erhielt Regisseurin Maren Ade den Deutschen, den Europäischen Filmpreis und eine Oscar-Nominierung. Hauptdarsteller Peter Simonischek verstarb am 29. Mai 2023 im Alter von 76 Jahren.
"Sag mal, wie lange willst Du eigentlich bleiben?" - Ja, wie lange eigentlich? Man muss schon Sandra Hüller sein, um diese Mischung aus leichter Genervtheit und Überforderung in die Frage einer Tochter zu legen. Nach dem Tod seines Hundes hat Winfried, der Altachtundsechziger, Tochter Ines, die Unternehmensberaterin, in Bukarest überrascht. Was will er hier? Außer der Tochter ein Geburtstagsgeschenk zu überreichen? Das geschieht in einer Szene, die Peter Simonischek mit dem Ernst spielen kann, der eine Komödie erst komisch macht.
Eine Familie ohne gemeinsame Sprache
Hier kollidieren nicht nur Generationen, sondern Welten. Winfried lebt in einem vollgerümpelten Einfamilienhaus, Ines in einer anonymen möblierten, von ihrer Firma angemieteten Wohnung in Bukarest. Sie trägt ihr Businesskostüm wie eine Rüstung, er schlurft mit Sandalen und Ökobeutel durch die Gegend. Sie versucht gerade einen lukrativen Auftrag zu verlängern, und er macht ausgerechnet beim Empfang mit dem deutschen Großkunden Witze, die danebengehen.
"Toni Erdmann" mag eine Komödie sein. Aber wie jede wirklich große Komödie kann sie ihre Verwandtschaft mit der Tragödie nicht verleugnen. Denn die Regisseurin Maren Ade erzählt hier zunächst einmal von der Fremdheit zwischen einem Vater und seiner Tochter. Ohne dass es ausgesprochen werden muss, wird klar, dass der Karrieredrang der Tochter etwas mit der Karriereverachtung des Vaters zu tun hat. Dass ihre geradezu unpolitische Unternehmensberaterinnenexistenz eine Reaktion ist auf die vielleicht allzu eindeutige Politisierung seiner Generation. Eine gemeinsame Sprache haben die beiden jedenfalls nicht.
Die Verwandlung in Toni Erdmann
Nach einem weiteren missglückten Tag reist der Vater ab - und taucht prompt wieder auf. Mit halbseidenem Anzug, Zottelperücke und schiefen Zähnen verwandelt sich Winfried in eine Kunstfigur: Toni Erdmann, Coach für was auch immer. Er kopiert die Businesssprache der Tochter. Als peinlicher, aber auch komischer Durcheinanderbringer überrascht er seine Tochter beim Restaurantabend mit Freundinnen. Er erzählt Geschichten über seinen angeblichen Freund, den Tennismanager Ion Tiriac und die Beerdigung von dessen Schildkröte. Er taucht auf Empfängen und in Ines' Firma auf. Er verwickelt ihre Mitarbeiter in groteske Gespräche - bis ihr der Kragen platzt.
Maren Ades universelle und komische Erzählung
Langsam gelingt Toni Erdmann das, was der Vater vor seiner Verwandlung nicht schaffte: Die Tochter aus der Reserve zu locken, um ihre Aufmerksamkeit zu bekommen. Durch Toni Erdmann, der auch vor Furzkissen nicht zurückschreckt, nimmt die Peinlichkeit, die Kinder für ihre Eltern empfinden, buchstäblich Gestalt an - und wird überhöht. Solange bis zwischen Vater und Tochter eingefahrene Muster, Scham und Sprachlosigkeit durchbrochen werden.
Aus Verwandtschaft wird Seelenverwandtschaft. Und aus der Geschichte eines Vaters und einer Tochter eine universelle Erzählung, eine wunderbar komische und zugleich melancholische Komödie.
Toni Erdmann
- Genre:
- Drama
- Produktionsjahr:
- 2016
- Produktionsland:
- Deutschland
- Zusatzinfo:
- mit Peter Simonischek, Sandra Hüller, Michael Wittenborn
- Regie:
- Maren Ade
- Länge:
- 162 min
- FSK:
- ab 12 Jahre