Regisseurin Steffi Niederzoll über ihre Doku "Sieben Winter in Teheran"
Der Film berichtet über die 19-jährige Reyhaneh Jabbari, die einen Mann, der sie vergewaltigen will, in Notwehr ersticht. Sie wird des Mordes angeklagt und zum Tode verurteilt. Regisseurin Steffi Niederzoll spricht im Interview über Reyhanehs Kampf.
Am Sonnabend hat "Sieben Winter in Teheran" den Deutschen Menschenrechts-Filmpreis in der Kategorie Langfilm bekommen. Die Jury urteilte, Reyhaneh Jabbaris Kampf für die Rechte der Frauen spiegele den Kampf vieler Frauen wider, nicht nur im Iran.
Frau Niederzoll, 19 Jahre ist Reyhaneh Jabbari alt, als sie Opfer einer versuchten Vergewaltigung wird, sich mit einem Messer wehrt und den Täter umbringt. Allerdings ermittelt die Justiz im Iran überhaupt nicht in Richtung Notwehr, und sie wird schließlich zum Tode verurteilt. Was wirken da für ungute Systeme von Ungerechtigkeit und Vertuschung im Hintergrund?
Steffi Niederzoll: Einerseits werden im Iran Frauen systematisch unterdrückt. Das muss man ganz klar sagen. Eine Frau ist nur halb soviel wert wie ein Mann. Allerdings ist es in Reyhanehs Fall so, dass der Mann, den sie niedergestochen hat, ganz eng mit dem Regime zusammengearbeitet hat. Er hat für die Revolutionsgarde gearbeitet. Diese Menschen sollen geschützt werden, auch gerichtlich. Leider muss man auch sagen, dass im Iran Gerichtsverfahren teilweise nur eine halbe Stunde lang dauern. Eine Todesstrafe wird ziemlich schnell ausgesprochen.
Sie wird gefoltert und man versucht, um jeden Preis ein Geständnis aus ihr herauszupressen. Nichtsdestotrotz gibt es zumindest einen Richter, der die richtigen Fragen stellt - dieser wird dann aber versetzt, richtig?
Niederzoll: Exakt. Das ist das, was ich gesagt habe: Dass der Staat versucht, den Täter zu schützen. Deswegen werden Richter versetzt, die die richtigen Fragen stellen.
Die Eltern wehren sich, die ganze Familie wehrt sich. Der Protest breitet sich aus und bewirkt auch etwas. Letztlich wird Reyhaneh doch hingerichtet. Aber immerhin konnte der Protest etwas erreichen - kann man das auch ein bisschen positiv sehen?
Niederzoll: Ja, einerseits ist erreicht worden, auf die Todesstrafe im Iran aufmerksam zu machen. Andererseits haben die ganzen Petitionen, die Unterschriften, die gesammelt worden sind, der Familie wahnsinnig viel Kraft gegeben, und auch Reyhaneh, um für sich zu kämpfen. Ich glaube, das hat wahnsinnig viel Widerstandsenergie freigesetzt. Nach Reyhanehs Hinrichtung hat die Mutter, Shole Pakravan, niemals aufgehört, gegen die Todesstrafe zu kämpfen. Sie führt Reyhanehs Kampf weiter.
Wie ist der Kontakt zwischen Ihnen und der Familie zustande gekommen?
Niederzoll: Ich habe Reyhanehs Familienmitglieder 2016 in der Türkei über meinen damaligen iranischen Partner kennengelernt und wurde irgendwann von denen gefragt, ob ich nicht mit diesem heimlich gedrehten Material einen Film machen möchte. Sie hatten schon länger jemanden gesucht, der einen Film darüber machen möchte und in der iranischen Community niemanden gefunden, weil der Täter zu eng mit dem Regime verknüpft war und es daher sehr gefährlich war, diesen Film zu machen. Deswegen ist es dann eine Deutsche geworden, die den Film gemacht hat.
Der Film hat viele Auszeichnungen bekommen. Was bewirkt das? Merken Sie, dass er jetzt mehr gesehen wird?
Niederzoll: Ich glaube ganz fest an die Kraft von Kunst und Film. Ich merke, dass wir mit jedem Preis, den wir gewinnen, aber auch bei jeder Vorführung, Menschen darauf aufmerksam machen können, dass sich Reyhanehs Geschichte leider tagtäglich wiederholt. Ihre Geschichte ist kein Einzelfall, nicht einmal ein besonderer Fall. Im Iran sind im letzten Jahr mindestens 853 Menschen hingerichtet worden. Das bedeutet, im Durchschnitt wird alle acht Stunden im Iran jemand hingerichtet. Leider müssen wir dieses Jahr mindestens diese Zahl erwarten, und es gibt leider auch noch eine ganz große Dunkelziffer. Alle Menschen, die diesen Film sehen, verstehen, was für eine menschliche Tragödie eigentlich hinter diesem Wort "Todesstrafe" steht, und kriegen auch diese Widerstandskraft und Energie mit. Das löst vielleicht eine Solidarität mit den iranischen Kämpferinnen und Kämpfern aus.
Bei vielen Menschen gibt es Ermüdungserscheinungen: Im Fernseher sehen wir bedrückende Bilder aus allen möglichen Regionen der Welt. Inwiefern verändert diese Situation die Rolle des Dokumentarfilms und auch Ihre Funktion als Filmemacherin?
Niederzoll: Ich verstehe diese Verdrossenheit, aber ich glaube, dass es beim Dokumentarfilm anders funktioniert. Wenn wir tiefer in eine menschliche Geschichte eintauchen, wie wir das in "Sieben Winter in Teheran" machen, werden wir Menschen auch nicht müde, hinzugucken. In dem Moment, wo wir uns emotional mit diesen Schicksalen verbinden können, dann ist der Verdruss etwas weniger. Zumindest ist das meine große Hoffnung.
Katja Riemann hat in einem Gespräch auf NDR Kultur gesagt, Filme sollten heute nicht mehr aufrütteln: "Wir sind alle schon völlig durchgerockt. Wir brauchen eine Befriedung, einen Heilprozess von all den Dingen, die so schiefgehen und die so schmerzhaft sind. Ich glaube nicht an diese erhitzten Debatten von Beschwerde, Empörung, Vorwurf und Anklage." Kann man das bei jedem Projekt leisten?
Niederzoll: Ich weiß nicht, ob man das bei jedem Projekt leisten kann. Aber das sollte auf jeden Fall unser Antrieb sein. Ob man das immer schafft, sei dahingestellt. So eine Art von Heilung oder etwas Positives - das geht nicht immer. Wenn man zum Beispiel über die Todesstrafe spricht, dann muss man auch aufrütteln. Ich widerspreche ihr da bis zu einem gewissen Punkt, weil ich bei meinem eigenen Film gemerkt habe, die wenig Leute wirklich wissen, was zum Beispiel hinter der Todesstrafe steht. Alles können wir als Filmschaffende nicht leisten, aber wir können Anstöße geben. Daran glaube ich wirklich ganz fest.
Das Gespräch führte Mischa Kreiskott.