Schroth schreibt mit "Faust" Theatergeschichte in Schwerin
Kaiser wechselte, Faust blieb
Kaiser, genauer gesagt die Darsteller dieser Rolle in Faust II (unter anderen Sylvester Groth, Axel Werner und Veit Schubert) kamen und gingen, die Fäuste blieben, fast. Horst Kotterba, der nach der Nichtberücksichtigung für das Westgastspiel 1986 einen Ausreiseantrag stellte, wurde durch Götz Schulte erst ab und zu, dann endgültig ersetzt. Lore Tappe war 106-mal "ein Teil von jener Kraft, die stets das Böse will und stets das Gute schafft". Heinrich Schmidt offenbarte als vierter, alter Faust 106 Mal, wonach der Weisheit letzter Schluss sei und sich Freiheit wie Leben nur der verdiene, "der täglich sie erobern muss". Erobert haben beide Schauspieler über Jahrzehnte das Publikum, indem sie nachhaltig das Schweriner Theaterleben prägten. Lore Tappe starb 2014, Heinrich Schmidt bereits 1991.
Die Inszenierung, ein Theatererlebnis, ein Stück Kulturgeschichte
Alle anderen blicken zurück auf ein Theaterereignis, das vor 40 Jahren seinen Anfang nahm und für ein Jahrzehnt dann Theatergeschichte schrieb, von der mecklenburgischen Provinz über Bezirks- und sogar über Staatsgrenzen hinaus. Bärbel Röhl (Gretchen) erinnert sich daran, dass "die Einstellung zu diesem Stück immer intensiver wurde, wir wussten, wir machen Politik". "Die Stärke war ja, Faust I und II an einem Abend" erzählt Horst Kotterba (zweiter Faust), "Schroth hat die Inszenierung zu einem Volkstheater-Erlebnis werden lassen." Kotterbas Faust-Kollegen - Wolf-Dieter Lingk und Peer Jäger - sehen diese Schweriner Inszenierung als besonders prägend in ihrer Schauspielerkarriere.
Barbara Bachmann (Helena) spricht rückblickend aus, was wohl jeder, ob auf, vor oder hinter der Bühne zu Beginn nicht für möglich hielt, dass dieser "Faust" mehr als 100 Mal auf dem Spielplan stehen wird. Nach dem letzten Vorhang vor nunmehr einem Vierteljahrhundert scherzten die Darsteller, so Barbara Bachmann, sie würden sich irgendwann mal treffen, "jeder hat dann zwei Tage Zeit zum Proben und dann spielen wir das aus dem Stand". Das - also diesen Schweriner "Faust" - würde Ekkehard Hahn (starb 2020) "heute sofort wieder spielen".
Für ihn, wie für viele anderen der Mitwirkenden, gab es eigentlich nie den Zeitpunkt, an dem das Stück "abgegessen war, nein, das war schon eine bemerkenswerte Aufführung". Regisseur Christoph Schroth spricht gegenüber dem NDR von einer seinerzeit aufregenden Arbeit, künstlerisch wie auch kulturpolitisch: "Ich würde nicht sagen wollen, das ist meine beste Inszenierung, da ist auch vieles nicht geschafft, aber sie gehört zu den aufregendsten Theaterproduktionen, die ich hergestellt habe."
Der letzte Vorhang im Jahr 1989
Dieser "Faust" war berauschend, couragiert und unkonventionell - als "Entdeckung" für den 30. Geburtstag der DDR geplant, als Theaterfest von den Zuschauern dann tatsächlich entdeckt und über ein Jahrzehnt hinweg an der Theaterkasse eingefordert. Bis kurz vor dem nächsten Republiks-Jubiläum 1989 stand Goethes Klassiker auf dem Schweriner Programm, das Land hatte sich verändert, der bleiernen Stimmung stand hingegen nach wie vor eine frische, nichts an Aktualität verlorene Inszenierung gegenüber. Trotzdem bat im Juni zum Ende der Spielzeit Schauspieler Heinz Kamm im Großen Haus des Mecklenburgischen Staatstheaters zum Schluss ein letztes Mal: "Klatscht nun in die Hände". Zum 106. Mal. Obwohl nur neun Aufführungen geplant waren.
- Teil 1: "Zügig, flott, laut und kräftig"
- Teil 2: Kaiser wechselte, Faust blieb