documenta 16: Vorfreude und Optimismus auf die Ausstellung in Kassel
Am Dienstag wurde in Kassel das künstlerische Konzept für die documenta 16 vorgestellt. Die Kunstkritikerin Saskia Trebing erzählt im Gespräch, was uns 2027 bei der Ausstellung erwartet.
Nachdem die letzte documenta 2023 vom indonesischen Kollektiv Ruangrupa kuratiert wurde, hat man sich diesmal für Naomi Beckwith, Chefkuratorin des Guggenheim-Museums in New York, als künstlerische Leiterin entschieden.
Frau Trebing, mit ihrer Arbeit im Guggenheim-Museum hat Naomi Beckwith international schon für Aufsehen gesorgt. Wie war ihre Vorstellung des künstlerischen Konzepts für die documenta 16?
Saskia Trebing: Es war wieder mal ein Beweis dafür, dass die documenta in Kassel selbst einen ganz außergewöhnlichen Stellenwert hat. Das gibt es nirgendwo sonst. Dass sich zum Beispiel die Venezianer so sehr für die Venedig-Biennale engagieren, ist eher nicht der Fall. Man hat gemerkt, wie sehr das die Kasseler umtreibt. Die haben fast stundenlang in der in der Kälte vor der documenta-Halle gewartet. Die Veranstaltung war sofort ausverkauft, das Interesse war wirklich enorm. Naomi Beckwith hat gesagt, dass sie ein bisschen Sorge hatte, dass nach dem Antisemitismus-Eklat und den ganzen politischen Diskussionen seit 2022 eine gewisse negative Stimmung gegenüber der documenta in Kassel herrscht. Das habe sie aber ganz anders erlebt: Die Menschen in Kassel interessieren sich extrem für die documenta und sorgen sich auch darum. Man kann spüren, dass viele Menschen in den letzten Jahren Angst hatten, dass es das Ende der documenta sein könnte. Jetzt macht sich ein gewisser Optimismus breit.
Das heißt, die Bevölkerung der Stadt hat auch ein Interesse daran, die documenta zu halten und sich damit immer wieder international zu profilieren?
Trebing: Ja, absolut. Natürlich waren auch Betriebsvertreterinnen und -vertreter da, aber das ist nicht die Mehrheit. Die Kasseler Bevölkerung engagiert sich extrem für die documenta, hat zum Beispiel auch Initiativen gegründet, als es darum ging, wie es weitergehen soll. Insofern ist es für künstlerische Leitungen der documenta immer eine sehr besondere Erfahrung, sich in diesen Kasseler Kosmos zu begeben, weil die Weltkunstschau natürlich international, global ist, aber gleichzeitig immer in Kassel stattfinden. Das ist ein ganz spezielles westdeutsches und auch gesamtdeutsches Biotop, und die künstlerischen Leitungen leben meistens in Kassel. Insofern haben die sehr viele Berührungspunkte mit Menschen außerhalb dieser Kunst-Bubble. Das unterscheidet die documenta auch sehr stark von anderem Schauen dieser Größenordnung.
Was hat Naomi Beckwith denn inhaltlich präsentiert?

Trebing: Wenn man erwartet hat, dass es schon Details zur Ausstellungsplanung gibt, dann wurde man enttäuscht. Aber das war auch nicht so richtig zu erwarten, weil es noch relativ früh in ihrer Berufung ist. Sie hat ein Jahr weniger Zeit als andere, weil die erste Findungskommission zurückgetreten ist und das ganze Verfahren neu gestaltet werden musste. Insofern eilt es ein bisschen, dass sie Entscheidungen treffen muss, aber natürlich braucht sie auch die Zeit, um sich jetzt mit Künstlerinnen und Künstlern zu treffen und weitere Recherchen zu machen. Das will sie jetzt auch tun, aber man konnte schon aus dem, was sie gesagt hat, Dinge ableiten. Zum Beispiel, dass interdisziplinäres Kunstschaffen ihr sehr wichtig ist, dass sie sozialisiert ist in Chicago, aus einer schwarzen Kunst-Community kommt, wo kultureller Austausch und der Umgang mit repressiven Strukturen wichtig ist. Sie verbindet das auch mit der Stadt Kassel, die auch geprägt ist durch Menschen unterschiedlichster Herkunft. Man kann auch sehen, dass sie eine Nähe zur postkolonialen Theorie hat, aber sie ist sehr offensiv undogmatisch aufgetreten. Der Ton, mit dem sie das vorträgt, ist sehr nahbar. Man merkt, dass sie auch gerne vermitteln möchte, dass sie keine Ideologie vertreten möchte.
Bei der letzten documenta gab es einen geografischen Schwerpunkt: Der globale Süden stand im Vordergrund. Geht es jetzt bei Naomi Beckwith also eher um verschiedene Formen der Mehrstimmigkeit?
Trebing: Was ich sehr interessant fand und auch irgendwie angenehm klärend, ist, dass sie gesagt hat, dass sie sich zwar sehr stark mit den Theorien das Postkolonialismus auseinandergesetzt hat, dass es sie geprägt hat, aber dass sie als in Chicago geborene Schwarze Frau auch eine Vertreterin des globalen Nordens ist und auch eine Vertreterin der westlichen Institutionen. Das Guggenheim ist eines der renommiertesten Museen der Welt und eben auch der westlichen Welt. Insofern gibt es diesen Gegensatz für Sie nicht so stark, sondern es kommen da verschiedene Einflüsse zusammen, die sie auch in Beziehung zueinander setzen will. Ihr ist diese institutionelle Geschichte des Westens auch wichtig, aber sie hat darauf hingewiesen, dass es nicht die einzige Geschichte ist, die man erzählen kann.
Schauen wir noch mal auf die letzte documenta, die vom indonesischen Kollektiv Ruangrupa kuratiert und von der Antisemitismus-Debatte überschattet wurde. Als Folge hat sich die documenta einen Wertekodex gegeben, und Naomi Beckwith musste sich als künstlerische Leiterin auch erklären, wie sie im Sinne dieses 'Code of Conduct' die Menschenwürde bei der documenta sicherstellen will. Was hat sie dazu gesagt?
Trebing: Ich hatte das Gefühl, dass Naomi Beckwith diese Veranstaltung ganz stark durch ihre eigenen Parameter geprägt hat. Sie hat sehr allgemein über Werte gesprochen, dass sie zum Beispiel symbolische, verbale oder visuelle Gewalt auf ihrer documenta nicht tolerieren wolle, dass sie für Inklusivität stehe, für Antidiskriminierung, für einen Raum, in dem Dissens möglich ist, aber auch einen Raum, der von Respekt geprägt ist. Sie hat sich gar nicht so sehr auf die konkrete Debatte um die documenta fifteen eingelassen. Antisemitismus hat in ihrem Vortrag keine gesonderte Rolle gespielt, sie hat auch diese deutschen Grabenkämpfe um dieses Thema vermieden. Wenn es um Menschenwürde gehe, gelte die für alle und das wolle sie sicherstellen im Dialog mit den Künstlern. Aber sie wirkt jetzt nicht so, als würde sie vor Dissens oder Streit zurückschrecken. Sie arbeitet im Guggenheim-Museum, wo auch immer wieder Proteste in verschiedenen Kontexten stattfinden. Sie hat gesagt, dass es da ein Weg gegeben hat, dass sich dieses Haus Prinzipien gegeben hat, wo Protest möglich ist, aber menschenbezogene Feindlichkeit und Diskriminierung unterbunden wird. Insofern finde ich es ganz interessantes, dass zukünftige Konflikte dadurch nicht ausgeschlossen sind, aber, dass es eine institutionelle Erfahrung gibt. So kommt die documenta wieder in den klassischen Kunstbetrieb zurück. Mit dem Ruangrupa-Experiment wollte man weg von den tradierten Kuratoren-Rollen - und jetzt ist es wieder jemand, der weiß, wie so etwas geht, Erfahrung und eine Institution im Rücken hat und daraus ihre Praxis entwickelt.
Die Grundpfeiler sind gesetzt - was dann alles konkret passiert, wird sich noch herausstellen. Wie schauen Sie auf die kommende documenta?
Trebing: Ich habe schon das Gefühl, als hätte die documenta jetzt so eine Art Probezeit zu absolvieren. Die nächste Ausgabe wird sicher auch sehr kritisch begleitet werden. Ich finde, dass Naomi Beckwith bis jetzt interessante Ausstellungen gemacht hat. Man kann noch nicht sagen, wie die documenta aussehen wird, aber die Richtung ist erst mal vielversprechend
Das Gespräch führte Florian Schmidt.
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