Staatsoper Hannover: Nach über 40 Jahren wieder ein neuer Parsifal
Das "Bühnenweihfestspiel", inszeniert von Thorleifur Örn Arnarsson, hat Premiere gefeiert - damit startet die Staatsoper Hannover in die neue Saison.
Die Welt ist ein Trümmerfeld. Schwarze, kahle Baumstämme ragen aus dem Boden, in der Mitte ein Bassin, drum herum lagern die Gralsritter, Hörnerhelme auf den Köpfen. Es öffnet sich eine Wand und Amfortas, Sohn des alten Gralskönigs Titurel, wird zum Bade geführt, seine Schmerzen zu lindern, die er sich im Kampf gegen seinen Erzfeind Klingsor zugezogen hat. Michael Kupfer-Radecky, der in Hannover bereits als Kurwenal in Tristan und Isolde auf der Bühne stand, singt zum ersten Mal den Amfortas.
"Bei Wagner ist für mich immer das Wichtigste: Man muss auf die Musik hören, wenn man es einstudiert und sich selber etwas denken möchte", erzählt der Sänger. "Man muss in die Musik auch hineinfühlen, das ist beim Parsifal ganz wichtig, weil so viel mitschwingt an Emotionalität, an Inhalt für jede Szene, wo gesungen oder auch nicht gesungen wird."
Berman will Aufmerksamkeit wieder mehr auf künstlerische Arbeit lenken
Neben Parsifal werden in der neuen Saison unter anderem die Oper Orfeo ed Euridice von Christoph Willibald Gluck und Lear von Aribert Reimann Premiere feiern. Die Intendantin Laura Berman freut sich auf die neue Saison, denn in den letzten Jahren gab es große Herausforderungen: die Pandemie, den Krieg in der Ukraine. Zuletzt war das Haus mit negativen Schlagzeilen in der Presse gewesen, nachdem Ballettdirektor Marco Goecke eine Musikjournalistin mit Hundekot attackiert hatte. Dass das Image des Hauses darunter gelitten hätte, möchte Berman so nicht bestätigen: "Im Grunde genommen ist man durch diese Attacke darauf aufmerksam geworden, dass wir eine Weltklasse-Ballettkompanie hier in Hannover haben," so die Intendantin. Marco Goecke habe phantastische Tänzer*innen und ein tolles Team mitgebracht, was vielen vorher gar nicht bewusst gewesen sei. "Jedes Mal, wenn die Attacke erwähnt wird, denke ich: Oh nein, jetzt geht die Aufmerksamkeit weg von unseren künstlerischen Anliegen. Das ist natürlich sehr, sehr, sehr schade." Das sei frustrierend, so Berman im Gespräch mit NDR Kultur.
Neue Intendanz für Hannover
Laura Berman wird das Opernhaus zum Ende der Spielzeit 2024/25 verlassen. Dafür gibt es vor allem zwei große Gründe: "Man hat nur ein Leben, nur eine Karriere. Ich bin 63 Jahre alt hat und habe reflektiert, was ich noch in meinem Leben machen will, bevor ich beruflich ganz aufhöre", erklärt sie. "Wir leben in einer Zeit sehr großer Veränderungen. Vielleicht ist jemand Neues das Richtige zu diesem Zeitpunkt. Es gibt größere Wechsel an dem Haus: Das Schauspiel, die Verwaltungsdirektion und die technische Direktion wechseln auch. Ich habe überlegt, ob es nicht gut ist, dass sich alles auf einmal verändert, so dass sich ein neues Team bilden kann, die alles gemeinsam für die Zukunft formt."
Nachhaltigkeit bei den Kostümen
Mit Parsifal macht eine Oper den Saisonauftakt, die seit mehr als 40 Jahren nicht mehr in Hannover inszeniert wurde. Nicht nur Amfortas singt sein Leid heraus, auch seine Mannen haben Verletzungen davongetragen. Kostümdesignerin Karin Briem und Andri Hrafn Unnarson haben Kostüme erschaffen, die an etlichen Stellen aufgeschlitzt sind, aus dem Inneren quellen farblich abgesetzt Stoffe und geschmolzene Kunststoffe. Die Anzüge für die Mitglieder des Chores stammen aus dem Fundus. So wird nur rund ein Drittel des Stoffes benötigt, der für ein neu geschneidertes Kostüm gebraucht würde. Es ist der Versuch, ressourcensparend zu arbeiten, sagt der isländische Nachhaltigkeitsdesigner Andri Hrafn Unnarson. "Während meines Master-Studiums habe ich mit bereits hergestellten Objekten und Abfällen experimentiert, um etwas Neues zu erschaffen", berichtet er. "Ich habe mich aber auch theoretisch mit Nachhaltigkeit beschäftigt und da gibt es auch eine emotionale Ebene: Die Frage, wie wir mit allem umgehen. Da geht es nicht nur um die Umwelt an sich, die wir verschmutzen. Es geht auch um ein System, das kaputt ist. Wir müssen einen Schritt zurücktreten und die Risse darin erkennen, um nachhaltiger zu werden."
Auch in der Pause gibt es Programm
Auch beim Opernbesuch geht es um Nachhaltigkeit. Wer bei der fünfeinhalbstündigen Aufführung die Befürchtung hat, ihm könnten die Glieder schwer werden, kann sich auf die zwei längeren Pausen freuen: Die Ballett-Tänzerin Michèle Seydoux bietet Yogaübungen an, man kann durch eine Foto-Ausstellung flanieren, sich in eine Leseecke mit Lesestoff zur Oper begeben oder eines von vier Menüs verspeisen.
Im Bühnenbild von Wolfgang Menardi spielt der Umgang mit den Ressourcen ebenfalls eine Rolle. An den Baumstämmen hängen Schläuche. Wie schon bei Thorleifur Örn Arnarssons umjubelter Inszenierung der Edda 2018 in Hannover, ist der Baum ein wichtiges Symbol, sagt der in Island geborene Regisseur. "In der nordischen Mythologie werden die neuen Welten mit dem Baum des Lebens zusammengehalten", erklärt er. "Ygdrasil ist der Baum, der durch alle neuen Welten geht. In dem Stück, im Parsifal, ist es fast wie eine - man könnte sagen - Dystopie, eine Metapher für unseren Umgang mit der Natur. Wir saugen die Kraft daraus und haben keine Achtung für die Systeme, die darunter liegen."
Wagners Tiefsinnigkeit
Das Bühnenweihfestspiel Parsifal von Richard Wagner - es handelt eben auch davon, welche Welt die richtige ist, die des alten Gralskönigs oder die seines Widersachers - und, wer uns erlösen könnte.
Die Premiere von "Parsifal" findet am Sonntag, 24.09. in der Staatsoper Hannover statt. Weitere Termine gibt es im Oktober