Zauberhaft, aber wirr: "James Brown trug Lockenwickler" in Hamburg
"James Brown trug Lockenwickler" von der Kultautorin Yasmina Reza hatte im St. Pauli Theater Premiere. Das Stück der "Meisterin der scharfen Pointe" war fabelhaft gespielt, gegen Ende ging ihm aber die Puste aus.
Was für ein Idyll: Vögel zwitschern, der Blick geht in einen Park, eine junge Mann sitzt auf einer Schaukel. Und dann betreten vorn zwei mittelalte, schwarz gekleidete Babyboomer die Bühne: Lionel und Pascaline, sorgenzerfurcht, Großstadt-Look. Ihr Problem:
Pascaline: "Seit diesem Abend lebten wir nicht mehr mit Jacob zusammen, wir lebten mit Céline Dion."
Lionel: "Wir lebten mit Céline Dion im Körper unseres Sohnes, Jacob Hutner."
Bühnenzitat
Ihr Sohn identifiziert sich mit einem der größten Popstars der Welt. Und die Parklandschaft gehört zu einem Erholungsheim, man könnte auch psychiatrische Anstalt sagen. Ein Umerziehungsheim für Gender-verwirrte junge Männer? Rätselhaft. Bei diesem Theaterbesucher stößt das auf Unverständnis: "Das war ein Sammelsurium von aneinandergereihten Bildern", er könne nichts damit anfangen. Ebenso wie diese Besucherin: "Ich habe es nicht verstanden."
Fabelhaftes fünfköpfiges Ensemble
Das Pfund dieser Inszenierung von Ulrich Waller: ein fabelhaftes fünfköpfiges Ensemble. Wie bestürzt-doof die Eltern dreinschauen, weil sie die Welt nicht mehr verstehen - gespielt von Johanna Gehlen und Michael Rotschopf, mit der idealen Mischung aus Liebe zum Kind, innerem Widerstand und blanker Verzweiflung.
Lionel: "Es schmeichelt mir zu hören, ich wäre ein gefestigter, selbstbewusster Mann, aber wir beide wissen ganz genau, das ist eine groteske Lüge. Du hast einen erstarrten Mann geheiratet ohne jede soziale Gewandtheit, der sich nie weiterentwickelt hat." Bühnenzitat
Dennis Svensson als Céline Dion
Und dann betritt Céline Dion die Bühne. Dennis Svensson sitzt da, mit langen Locken, strahlend, Glitzerkleid, ein Star. Er spielt wundervoll, weil er die Figur in keiner Sekunde verrät oder vorführt - sondern ihr eine innere, fluide Schönheit gibt. Jacobs Geschlecht wird zur Frage der Wahl. Man nimmt es ihm ab. "Das ist ein aktuelles Thema, und ich finde, es kommt auch sehr gut rüber" und: "Mir hat das auch supergut gefallen", sagen die echten, also biologischen Eltern des Schauspielers - ein Zufalls-Interview nach der Premiere. Stolz dabei? "Natürlich ist man stolz." "Ich find’s irre, ganz toll. Das ist Akzeptanz, so zu sein, wie man ist."
Céline freundet sich im Heim mit Philippe an, einem jungen weißen Mann, der sich für einen Schwarzen hält. Auch Nabil Pöhls spielt direkt, frisch. Von den beiden will man unbedingt mehr sehen.
Mehr Tempo und Glamour hätte gut getan
Das Problem ist das Stück selbst: Es kann sich zwischen rabenschwarzer Komödie und surrealem Identitäts-Spiel nicht entscheiden, bleibt etwas halbgar dazwischen hängen.
Mechthild Großmann, bekannt als Tatort-Reibeisenstimme aus Münster, spielt eine staubtrockene Psychiaterin mit offenem Herzen. Dem Abend im Hamburger St. Pauli Theater gelingen zauberhaft-absurde Szenen voller Poesie - aber: Das Stück steuert nirgendwo hin, und gegen Ende geht dem Abend die Puste aus. Ein bisschen mehr Überdrehtheit, mehr Tempo und Glamour hätte gutgetan.
Zauberhaft, aber wirr: "James Brown trug Lockenwickler" in Hamburg
Das neue Stück von Yasmina Reza hatte Premiere im St. Pauli Theater: Es war fabelhaft gespielt, aber ihm ging die Puste aus.
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St. Pauli Theater
Spielbudenplatz 29 - 30
20359 Hamburg - Telefon:
- 040 47110666