John Neumeier holt "Odyssee" zurück auf die Bühne
John Neumeier ist der vielleicht bedeutendste Choreograf der Gegenwart. Seine Ballette sind einer der wichtigsten Kulturexporte Hamburgs. Zu seinem 85. Geburtstag am 24. Februar nimmt er ein Ballett wieder auf, das fast 30 Jahre alt ist.
John Neumeier wirkt fast ein bisschen aufgeregt. Das ist charmant, denn dem Star-Choreografen liegt diese Geschichte wirklich am Herzen. Er geht durch den großen Tanzsaal. Rings um die Tanzfläche sitzt das Ensemble, hört ihm gebannt zu. Dann legt die energiegeladene Musik von George Couroupos los.
Odysseus: Der Inbegriff des suchenden Menschen
Es ist eine fließende Welt, mitten im Meer, am Meeresrand - immer in Bewegung. Wir sind im Ballettzentrum. Frauen mit tiefblauen Schleppen schreiten quer durch den Raum. Es sieht wie die Wellen eines Ozeans aus. Dieses Ensemble vibriert vor Präsenz und dem inneren Drang, gemeinsam eine Geschichte erzählen zu wollen, die kein Alter hat: einen Mythos. "Ich habe irgendwo gelesen, ein Mythos ist das, was nie war und immer in Entstehung ist. Jeder Mensch kann das anders interpretieren. Das hat viel mit Archetypen zu tun", sagt John Neumeier.
Ein Archetyp ist Odysseus, der Inbegriff des suchenden, umherirrenden Menschen. Der Tänzer Alexandr Trusch wirbelt in die Luft, hin- und hergeworfen zwischen den Wellen. Er ist ein gebrochener Mann mit Fieberblick, der aus einem zehnjährigen Krieg zurückkommt. Er schlägt plötzlich, ohne Vorwarnung, um sich und ermordet einen Mann. John Neumeier zeigt das mit knappen, harten Gesten, "als ob das selbstverständlich wäre. Das war für mich schockierend und hat mich zum Denken gebracht", erklärt Neumeier. "Das muss das sein, was diese zehn Jahre bedeuten: Der Zustand, im Krieg zu sein, ist nicht etwas, was man einfach vergessen kann. Man braucht einen Heilungsprozess davon."
Ein Stück über Krieg zur richtigen Zeit
Aber wie verheilt ein Trauma? Bei John Neumeier sucht der Soldat und Seefahrer Odysseus zehn Jahre nach seiner femininen Seite. Er lernt zu trauern. Der Choreograf unterbricht die Probe immer mal wieder freundlich, aber bestimmt. Er geht in seiner bequemer Trainingskleidung auf die Tanzfläche. Zusammen mit seinen Ballettmeistern gibt er mit leiser Stimme Anweisungen, macht Vorschläge. Die Stimmung ist hochkonzentriert. Druck oder gar Stress spürt man keine Sekunde.
Die Tänzer und Tänzerinnen ziehen ständig neue Ebenen ein. Dieses Meer ist voller Götter, Nymphen, voller Menschengier und Erinnerungen. Dass John Neumeier das Stück über den Krieg genau jetzt wieder auf die Bühne holt, ist kein Zufall. Der Krieg Russlands gegen die Ukraine und der Krieg im Nahen Osten machen dem Künstler schwer zu schaffen: "Es bewegt mich sehr stark. Das war für mich der Moment, wo ich dachte: Ja, ich will dieses Stück machen", erzählt Neumeier.
"Odyssee" am Hamburg Ballett bricht mit Klischees
Das Klischee, dass Männer stark sein müssen und nicht weinen dürfen, wird gebrochen. Ist diese Wiederaufnahme eine persönliche Reise zurück in John Neumeiers eigene Vergangenheit vor fast 30 Jahren? Eher nicht, aber: "Ich gehe nicht in die Vergangenheit. Ich glaube, ich bin der gleiche, aber ich bin vielleicht erfahrener. Ich habe mehr gelebt", sagt Neumeier. "Aus diesem Leben hoffe ich, dass ich etwas gelernt habe. Deswegen kann ich dem Werk auch neues Leben geben."
John Neumeier holt "Odyssee" zurück auf die Bühne
Zu seinem 85. Geburtstag am 24. Februar präsentiert John Neumeier ein Ballett, das fast 30 Jahre alt, aber so aktuell wie nie zuvor ist.
- Art:
- Bühne
- Datum:
- Ende:
- Ort:
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Hamburgische Staatsoper
Dammtorstraße 28
20354 Hamburg - Preis:
- ab 6 Euro