Schauspielhaus: Freundlicher Beifall für Wielers "Orlando"
Schon viele Regisseurinnen und Regisseure haben sich für Virginia Woolfs Roman "Orlando" interessiert. Am Deutschen Schauspielhaus in Hamburg hat Jossi Wieler den Stoff jetzt auf die Bühne gebracht. Der Schweizer kehrt nach fast 25 Jahren zurück.
Wieler und sein Dramaturg Ralf Fiedler folgen Virginia Woolf ziemlich genau, abgesehen von Kürzungen. Auf der Drehbühne kreist eine riesige, umgestürzte Eiche, von Katrin Brack kunstvoll entworfen. Der Baum wird in der folgenden guten Stunde immer mehr Zweige bekommen, von dem Schauspieler Lars Rudolph fachmännisch angebracht.
Sprechen wird er lange gar nicht und auch später kaum. Seine Kolleginnen hingegen erzählen weiter von dem jungen Mann, der um 1600 Königin Elisabeth I. begeistert: "Und in der gleichen Nacht vermacht sie, als Orlando in tiefem Schlaf liegt, das große, klösterliche Gebäude, das dem Erzbischof und dann dem König gehört hat, Orlando als Geschenk. Und der Orlando ...der schläft die ganze Nacht vollkommen ahnungslos."
Was macht ein "Ich" aus - was Mann, was Frau?
Wieler ist ein Regisseur, der genau hin- und zuhört. Und das muss auch das Publikum, um folgen zu können. Im Zeitraffer geht es durch den Roman, in dessen Verlauf Orlando vom Mann zur Frau wird, einfach so. Als Mann fällt er in eine siebentägige Trance, als Frau wacht er auf.
Bis ins Jahr 1928 lebt Orlando und altert kaum. Eine irre Geschichte, sehr modern: Was macht ein "Ich" aus, was bedeutet es, Mann oder Frau zu sein? Wie verändern sich Rollenzuschreibungen im Laufe der Jahre, Jahrhunderte?
Kaum szenische Funken
Wieler interessiert sich nicht nur für diese immer noch aktuellen Fragen. Ihm geht es, wie Woolf, auch um die Einsamkeit der Figur, das Verhältnis von Leben und Literatur, zur Natur. Ein Leben lang schreibt Orlando an dem Werk "Die Eiche". Doch schlägt Wieler aus dem Stoff kaum szenische Funken, obgleich das Ensemble zunehmend ins Spiel kommt.
"Ich habe mehrere Arbeiten von Jossi Wieler gesehen… es ist eine sehr langsame, gemächliche Arbeit, aber er ist sehr gut darin, mit Sprache umzugehen, Zäsuren zu setzen und dementsprechend gehe ich mit einem guten Gefühl aus dem Abend raus", sagt ein Premierenbesucher.
Schwung der Vorlage verpufft
Der Witz und die Leichtigkeit, die den Roman ebenfalls auszeichnen, werden nur dezent angedeutet. Der Schwung der Vorlage verpufft - zugunsten ernsthaft gestellter, existenzieller Fragen. Was ist das Leben und "könnte die Person, um die es ging, vielleicht gar nicht da sein? Orlando? Wie viele verschiedene Menschen finden sich im menschlichen Geist einquartiert?"
Am Ende hat ein kräftiger Sturm die umgestürzte Eiche gerupft, das Ensemble durchgepustet, und wir sind in der Gegenwart angekommen: "Es ist der 26. Januar. Es ist das Jahr 2024. Es ist jetzt." Freundlicher Beifall für einen konzentrierten Abend, der dem Spiel zu wenig Raum gibt.