Cyrano de Bergerac beeindruckt im Ernst Deutsch Theater
Gérard Depardieu spielte ihn, Jean Marais, Jean-Paul Belmondo: den Antihelden und Haudegen aus Frankreich - mit einer riesigen Nase: Cyrano de Bergerac. Jetzt zeigt das Ernst Deutsch Theater den Klassiker von Edmond Rostand in einer neuen Fassung von Martin Crimp.
Legen Sie sich bloß nicht mit dem an: Der Monsieur ist hochintelligent, ein Meister am Degen, kann dichten wie kein zweiter - aber wer ihn auf seine große Nase anspricht, hat schon verloren.
"Meine Nase ragt vor, ist'n Radikal-Coming-out, out and proud, volles Rohr, is irre laut, sie beschallt die Welt, attackiert und pariert, meine Nase rebelliert - ständig." Zitat aus "Cyrano de Bergerac"
Die Rede ist vom berühmtesten Nasenbären der Weltliteratur, von Cyrano de Bergerac. An diesem Abend wird er von Boris Aljinovic dargestellt - und wie! Als moderner Typ mit breitem Lächeln, scheinbar harmlos! Er spielt gewitzt, kämpferisch - mit einer Nase, die - verdächtig - nach seiner privaten aussieht. Die dynamische Inszenierung von Harald Weiler kommt ohne Pappmaché-Zinken aus, ohne Reifröcke und steifes Getue. Sie ist: von heute.
Premierenpublikum begeistert
Den Zuschauern scheint es gefallen zu haben: "Den Hauptdarsteller fand ich sehr klasse, der war in Form. Und das Ensemble war sympathisch, also war es ein gelungener Abend", sagt ein Besucher. Und eine Besucherin ergänzt: "Ich bin nicht so der Fan von Neuinszenierungen, aber ich war doch relativ begeistert, dass sie diese Kombi hatten, von den Reimen, und dann dieses Moderne. Die Musik war sehr schön und es war ein sehr schönes Bühnenbild."
Mantel- und Degenstück in modernem Gewand
Das Paris des 17. Jahrhunderts sieht hier aus wie Berlin im 21. Jahrhundert: Hippe, blasierte Typen, Poesie-versessen, im offenen Bühnenraum. Erde liegt auf dem Boden, hinten auf einer wie rostiger Stahl schimmernden Wand sind die Worte "Im Theater" projiziert. Das Ensemble bringt zu Beginn ein paar Stühle herein, nimmt Platz - als würde es seinem eigenen Spiel zusehen. Toll.
"Es ist ja ein altes Mantel- und Degenstück, da hat man am Anfang gedacht, ob das mal gut geht, aber die Essenz, diese Liebesgeschichte ist gut rausgekommen. Das haben sie gut gemacht", lobt ein Premierenzuschauer.
Vertrackte Dreiecksgeschichte
Es ist der Inbegriff einer Dreiecksgeschichte, völlig vertrackt. Cyrano liebt seine Cousine Roxane, aber er traut sich wegen seiner Nase nicht, sich ihr zu offenbaren. Sie dagegen:
"Es gibt da jemanden - einen Mann, den mag ich sehr. - Du magst ihn sehr? - Ja, nur weiß dieser jemand das nicht." Zitat aus "Cyrano de Bergerac"
Roxane, Lina Hoppe als kühle Intellektuelle mit Kurzhaarfrisur und Tüll-Rock, liebt den schönen Christian. Leander Lichti gibt ihm auftrumpfende, schön depperte Männlichkeit: Er kann nicht dichten. Und Roxane liebt nichts mehr als holde Worte. Also wird Cyrano inkognito zum Sprachrohr Christians.
"Wir tun uns zusammen, wir bilden ein Team, du leihst mir dein extrem attraktives Gesicht und ich dir mein rhetorisches Schwergewicht." Zitat aus "Cyrano de Bergerac"
Tempo, Witz und Poetry Slam
Das Stück mit seinem starken Ensemble hat am Anfang Tempo und Witz, gefochten wird hier mit Mikrofon in der Hand, statt mit Degen, die Reime klingen nach coolem Poetry Slam: "Ich finde, das kann man auf jeden Fall machen, ich bin ein Riesenfan von Poetry Slam. Man muss es nur können, und ich fand es sehr gut umgesetzt", sagt ein Theater-Besucher.
Aber dann wird alles anders: Der Krieg hält Einzug. Cyrano wird eingezogen, er verspricht Roxane, Christian vor den Granaten zu schützen. Und beide Männer nähern sich sogar mit einem Kuss an. Das alles ist konsequent und klug inszeniert. Dass diese Komödie eine verkappte Tragödie ist, dass der Krieg alle Poesie, alles Zarte vernichtet, wird hier bitter und aktuell - gefällt aber nicht allen: "Also ganz ehrlich, die Zeit ist ohnehin schwer zu ertragen, und eigentlich wollte ich hier eine Komödie sehen. Ich dachte, ich hab hier einen schönen Abend, aber das war nicht ganz so", sagt eine Frau.
"Nicht sprechen? Ich bin noch lange nicht fort, der Held hat schließlich immer - das letzte Wort." Zitat aus "Cyrano de Bergerac"
Die Dichtkunst hat hier das letzte Wort. Das immerhin macht Hoffnung an diesem herzzerreißenden Theaterabend, der sich und uns einen langen Atem zutraut - mit einer Geschichte von heute.