Tanz, Widerstand, Befreiung: Was ist Voguing?
Der New Yorker Stadtteil Harlem gilt als Geburtsort der Ballroom-Szene. Bei den Balls treten Vertreter der LGBTIQ-Gemeinde in verschiedenen Disziplinen gegeneinander an. Eine davon heißt Vogue - ein besonders exaltierter Tanz.
Die Doku "Paris Is Burning" wurde Ende der 1980er-Jahre in New York gedreht. Sie ist die umstrittene Chronik der Ballroom-Kultur jener Jahre. Eine hyperqueere und hyperfeminine Welt aus exaltierten Tänzen, selbstgenähten Kleidern, Make-up - und Wahlfamilien, weil die biologischen nichts mit einem zu tun haben wollen.
Gleich in den ersten Minuten der berühmten Doku spricht ein junger Mann die bittere Wahrheit über sein Leben aus. Der Vater des jungen Mannes habe ihm gesagt: Als Schwarzer Mann hast du ja schon zwei Probleme: nämlich ein Mann und Schwarz zu sein. Aber du bist Schwarz, männlich - und du bist schwul. Du wirst es besonders schwer haben. Du wirst stärker sein müssen, als du es dir je vorstellen könntest.
Ballroom Mother: Beschützerin und Trainerin
Auch um Pepper LaBeija geht es in der Doku. Sie nannte sich Mother of the House of Labeija. Die Drag-Queen ist eine von vielen Ersatzmüttern in der Ballroom-Kultur - und so eine Mutter kümmert sich: Sie nimmt die Ausgestoßenen auf, also damals vor allem Schwarze oder lateinamerikanische Transpersonen, aber auch andere queere People of Color ohne Zuflucht. Und sie trainiert sie.
"Traditionell ist eine Ballroom Mother wie im sportlichen Wettkampf-Sinne die Team-Leaderin, die das Team zusammenhält, aufbaut und auch trainiert. Und dafür sorgt, dass jeder in seinen Ballroom-Kategorien glänzt", erklärt die Performance-Künstlerin Marie-Zoe Buchholz, die als Zoe selbst eine Mother ist, derzeit Mother des House of Elle.
Bei Balls treten Houses gegeneinander an
Und auch, wenn es heute nicht mehr um den Existenzkampf geht - auch Zoe trainiert ihr Team. Bei den Balls treten verschiedene Houses, also Teams, gegeneinander an. Es gibt unterschiedliche Kategorien, aber besonders wichtig ist das Tanzen, vor allem der Tanzstil Vogue, mit seinen Unterkategorien Old Way, New Way und New Fem.
"Old Way ist das, was der ursprüngliche Voguing-Stil war", erklärt Zoe und führt weiter aus: "Aus Old Way, der auch noch sehr linear und geometrisch ist und wo man auch die Posen noch klar erkennen kann, haben die Fem Queens, die Transfrauen der Szene, eine eigene Richtung entwickelt, die heute als Vogue Fem bekannt ist. Die haben Old Way einen feminineren Touch gegeben."
Voguing als eine Feier des Widerstandes und des Weiblichen
New Way ist die schnellere, athletische Variante des Old Way. Voguing erinnert an übertriebene Model-Posen. Einer Feier des Widerstands, des Weiblichen. Oder, wie die Performance-Künstlerin Zoe es ausdrückt: "Man ist, wie sagt man, 'unapologetic'. Man entschuldigt sich nicht dafür, dass man sinnlich ist, dass man weiblich ist, dass man sexy ist. Im Gegenteil: Man präsentiert es, man spielt damit, und man kokettiert damit."
Die Wettbewerbe der frühen Ballroom-Kultur ermöglichen denjenigen, die am Rand der Gesellschaft stehen, Anerkennung und Bedeutung zu erlangen. Manche schaffen es so auch aus den Armutsvierteln hinaus.
Weiße wie Sängerin Madonna verdienen am Voguing
Dort, wo Voguing den Mainstream erreicht, sind es oft Weiße, wie eben eine gewisse Madonna, die daran partizipieren - und verdienen. Die Doku "Paris Is Burning" ist auch deshalb umstritten, weil sie von einer weißen Frau, Regisseurin Jennie Livingston, gedreht wurde und viele der gezeigten Personen sich und die Szene im Nachhinein nicht richtig repräsentiert sahen.
Zuletzt erleben Ballroom-Kultur und Voguing eine Renaissance. Die Serie "Pose" lässt Charaktere aus "Paris Is Burning" wieder aufleben. Beyoncé und die heute schlauer agierende Madonna arbeiten mit Choreografen der Szene zusammen und veranstalten Balls auf ihren Tourneen.
"Voguing ist aus Exklusion entstanden"
Darf heute jede und jeder Vogue tanzen? Die Performance-Künstlerin Zoe, Mother des House of Elle, sagt: "Grundsätzlich erst mal ja. Ballroom und Voguing haben immer den Anspruch gehabt, ein inklusiver Space zu sein, weil es ja aus einer Exklusion entstanden ist. Aber man muss sich krass bewusst sein, woher dieser Space kommt. Aus was für einem Schmerz und Struggle dieser Space entstanden ist", betont sie.