Jubel für Messiaen-Marathon in der Elbphilharmonie
Mit Jubel und langem Applaus hat das Publikum die Premiere der Oper "Saint Francois d'Assise" von Olivier Messiaen aus dem Jahr 1983 gefeiert. Mit etwa 300 Mitwirkenden ist das Stück über den Heiligen Franz von Assisi die größte Opernproduktion in der Geschichte der Elbphilharmonie.
Dieser Opernabend ist spektakulär. Für die Sänger wurde extra eine Art Laufsteg über dem Orchester gebaut. Die bekannte Sopranistin Anna Prohaska wandert als himmlisches Wesen von Balkon zu Balkon und schwebt einmal sogar im Konzertsaal. Nicht kleckern! Klotzen!
Die Leidenschaft für Vogelstimmen: "Mach mal Piep!"
Nicht minder spektakulär ist Messiaens Musik, die voller Farben und Düfte steckt. Die Leidenschaft des tiefreligiösen Katholiken waren bekanntermaßen Vogelstimmen. Sie erklingen im sechsten Bild der Oper minutenlang aus dem Orchester. Als ein Leprakranker geheilt wird, hört man eine Art lebensbejahende Broadway-Melodie, die an Gershwin erinnert. Und wenn der Engel an die Klostertür klopft, klingt das bei Messiaen wie ein rhythmischer Rammbock. Bei Kent Nagano, einem Schüler und Freund des Komponisten Olivier Messiaen, wird die Geschichte von Franz von Assisi in besonderer Weise lebendig. Dem Philharmonischen Staatsorchester gelingt ein sinnlichen Klangerlebnis. Nur manchmal gehen die Nuancen des Chores im Tschingderassabum der exotischen Percussionslandschaft des Orchesters verloren.
"Wir sind Franziskus"-Moment prägt sich ein
Das Libretto über das Leben des Franz von Assisi ist nicht gerade eine actiongeladene Handlung - eher eine kontemplative, spirituelle Angelegenheit. Viel zu inszenieren gibt es da nicht. Den sehr frommen, katholischen, mystischen Text übersetzen deshalb Filme auf einer großen runden Leinwand über der Bühne ins säkulare Heute. Wir begleiten einen Obdachlosen in Hamburg, eine Seawatch-Aktivistin, die im Mittelmeer Flüchtlinge vor dem Ertrinken rettet, den Klima-Forscher Mojib Latif, der in einem leeren Hörsaal doziert und eine Seelsorgerin im Hospiz. Es sind Menschen, die heute ähnliche Herausforderungen spüren wie Franz von Assisi damals. Manchmal bewegen die Menschen in den Videos die Lippen zum Gesang von Franz von Assisi, als wären sie es, die seine Texte singen. Manchmal hakt es da allerdings beim Timing. Der "Wir sind Franziskus"-Moment prägt sich an diesem Abend dennoch tief ins Gedächtnis ein.
Rätselraten um Kind im Regencape
Die pittoresken Bilder aus dem Franziskanerkloster in Assisi fallen dagegen zunächst ein bisschen ab, aber sobald die mittelalterlichen Fresken aus Assisi neben den Bildern aus dem Hamburger Hospiz zu sehen sind, entsteht eine besondere kreative Spannung. Je länger die Videos dauern, je facettenreicher sie den Franziskus-Moment von heute durchdeklinieren, desto stärker wird der Video-Moment. Natürlich sind die Musik Messiaens und die Lebensgeschichte Franz von Assisis stark und reich genug, einen Abend allein zu tragen. Aber Opernchef Georges Delon ist hier mit Marcus Richardts Videos eine besondere Bereicherung gelungen. Nicht jeder Regie-Einfall zündete jedoch. Beim Kind mit blauem Regencape, das durch den Konzertsaal läuft und einen leuchtenden Globus hält, herrschte im Publikum beim Pausengespräch Rätselraten. Das war ein Dreh zu viel.
Anna Prohaska: Völlig losgelöst!
Jacques Imbrailo in der Titelrolle als Franz von Assisi ist mit seinem lyrischen Bariton ein Ereignis. Seine Zuwendung zum Leprakranken ist einer der musikalisch berührenden Momente des Abends. Herausragend auch Anna Prohaska als Engel, der im weiß-silbernen Kostüm mit Glitzer im Gesicht zwischen Elfe und "Star Wars"-Prinzessin changiert. Und dann hebt sie tatsächlich ab: Sie steigt in eine futuristische Kapsel, wird in die Höhe gezogen und schwebt singend im Saal.
Überwältigender Abend
Mehr als fünf Stunden dauert der Abend. Nicht alle haben durchgehalten. Nach der zweiten Pause bleiben einige hundert Plätze leer. Einige gingen noch Minuten vor Schluss - Franz von Assisi lag da schon tot auf der Bühne. Die, die blieben, waren ergriffen. Der Schlussakkord: 40 Sekunden reines C-Dur. Kent Nagano winkt den Klang zu sich heran. Lauter! Immer lauter! Jacques Imbrailo in der Titelrolle als Franz von Assisi und Kent Nagano bekommen am Ende den meisten Applaus. Nur anderthalb Buhrufe in dem zuletzt sehr protestfreudigen Staatsopernpublikum sind auch Symptom eines erfolgreichen, ja überwältigenden Abends.