Brussig-Anwalt: Unternehmen sollten Risiko tragen - nicht die Kreativen
Nachdem das Landgericht Hamburg dem Autor Thomas Brussig fünf Millionen Euro zugesprochen hatte, hat Stage Entertainment nun Berufung eingelegt. Wie Brussig-Anwalt Urs Verweyen die Chancen seines Mandanten sieht, erklärt er im Interview.
Thomas Brussig hat Recht bekommen. Der Autor des Librettos für das Udo-Lindenberg-Musical "Hinterm Horizont" erhielt dafür 100.000 Euro. Zu wenig für das erfolgreiche Musical, fand Brussig und klagte. Nun hat er vor dem Landgericht Hamburg ein höheres Honorar von Stage Entertainment erstritten: fünf Millionen Euro plus Zinsen über zehn Jahre - denn so lange dauerte der Prozess.
Grundlage für die Entscheidung ist der urheberrechtliche Grundsatz, der besagt, dass einem Urheber eine faire Nachvergütung zusteht, sollten sich die Umsätze, die mit dem Werk erzielt wurden, als so hoch erweisen, dass man von einem auffälligen Missverhältnis zur früheren Vergütung sprechen muss. Stage Entertainment hat allerdings Berufung eingelegt. Über die Feinheiten der Rechtslage und die Aussichten für seinen Mandanten hat Brussigs Anwalt Urs Verweyen mit NDR Kultur Moderator Philipp Schmid gesprochen.
Stage Entertainment wollte sich nicht weiter äußern und ließ lediglich per Email verlauten:
"Ich verstehe vollkommen, dass das Thema sehr spannend ist. Doch da das Urteil noch nicht rechtskräftig ist und wir Berufung eingelegt haben, äußern wir uns aktuell noch nicht." Statement von Stage Entertainment gegenüber NDR Kultur
Herr Verweyen, fünf Millionen Euro haben Sie für Ihren Mandanten am Landgericht Hamburg erstritten, plus Zinsen. Das klingt nach einem großen Erfolg - aber Stage Entertainment hat Berufung eingelegt. Heißt das, Herr Brussig bekommt erst einmal gar nichts und muss sogar fürchten, dass die nächste Instanz gegen ihn entscheidet?
Urs Verweyen: Grundsätzlich ist das so: Berufung bedeutet, das wird sich jetzt noch mal angeguckt vom Oberlandesgericht in Hamburg. Das kann natürlich eine andere Entscheidung treffen als das Landgericht. Das System ist mehrstufig angelegt, so dass eine vernünftige Kontrolle gegeben ist. Wenn man sich die Urteilsbegründung anguckt, die uns vorliegt, sind wir optimistisch, dass es hält. Aber klar, man darf nicht vorgreifen. Das Gericht trifft eine eigene Entscheidung,
Könnte die Berufung sogar vorher noch abgelehnt werden?
Verweyen: Das ist denkbar. Wenn die Berufungsbegründung, die von der Stage eingereicht wird oder die die Anwälte der Stage einreichen, den Anspruch nicht auf Aufhebung des Urteils des Landgerichts nicht hergibt, dann könnte das Oberlandesgericht einen entsprechenden Beschluss fassen, den Einspruch relativ zügig und ohne mündliche Verhandlung zurückweisen. Das passiert immer mal wieder. Ob das hier angezeigt ist, auch angesichts der Dimension, weiß ich nicht.
Die Produktionsfirma hat vor Gericht erklärt, sie habe 31 Millionen Euro Verlust gemacht mit dem Musical. Wenn das stimmt, und das kann man wahrscheinlich nachprüfen, dann kann Herr Brussig froh sein über seine hunderttausend Euro Honorar. Wieso sehen Sie und warum sieht das Landgericht das anders?
Verweyen: Kann man das nachprüfen? Das ist natürlich so eine Sache. Als Außenstehender kann man es nur schwer nachprüfen, zumal es sich bei Stage Entertainment um die Unternehmensgruppe handelt. Ich unterstelle nichts, aber es gibt natürlich Möglichkeiten, Gewinne an Orten oder in Unternehmen zu generieren oder an anderen Orten nicht, beispielsweise über Mietverträge, die anders notiert sind, als sie am freien Markt notiert wären. Wie gesagt, ich unterstelle gar nichts. Aber es ist für uns als Außenstehende völlig undurchsichtig. Das ist sicherlich erst einmal der erste Punkt. Da geht auch das Landgericht im Übrigen in seiner Begründung mit.
Das ist genau einer der Punkte für die Entscheidung des Landgerichts, zu sagen, es kommt nicht auf Gewinne an oder die Kosten, die die Stage Entertainment hatte, sondern es geht allein darum, welche Roheinnahmen, also welche Umsätze mit dem Musical erzielt wurden. Das ist auch die Rechtslage. Das ist im Prinzip so, als wenn sie den Autor oder die kreativen Beteiligten behandeln wie andere Kostenpositionen auch. Das unternehmerische Risiko ist, ordentlich zu wirtschaften, Gewinn zu machen mit solchen Projekten. Das ist kein Risiko, das die Autoren und andere kreativ Beteiligte zu tragen haben, sondern das ist einfach Risiko des Unternehmens. Die Zahlungen an Herrn Brussig sind so zu behandeln, als wären das Zahlungen für Strom oder für Miete oder Löhne und Gehälter. Die müssen sie als Unternehmen bezahlen, auch wenn es mal nicht so gut läuft.
Es gibt andere ähnliche Fälle, zum Beispiel von Drehbuchautorin Anika Decker, die Til Schweigers Kinohit "Keinohrhasen" geschrieben hat. Die hat zwar Recht bekommen, aber kaum Geld, weil die Ansprüche laut Gericht verjährt waren. Auch Erfolgsregisseur Peter Jackson, Scarlett Johansson, Marvel-Gründer Stan Lee - alle sind vor Gericht gegangen und haben sich gegen große Firmen meistens außergerichtlich geeinigt. Sind große Firmen Ausbeuter der Kreativen?
Verweyen: So überspitzt, wie sie es jetzt formuliert haben, würde ich es nicht sagen. Aber es ist schwierig, diese Ansprüche durchzusetzen, insbesondere diese Ansprüche auf eine angemessene, auf eine faire Nachvergütung bei besonders erfolgreichen Produktionen - sei es im Filmbereich, sei es im Theaterbereich. Das kann man ein Stück weit auch verstehen. Denn es bedeutet natürlich, dass man im Nachhinein nochmals Zahlungen leisten muss aus Sicht der Unternehmen, die man möglicherweise nicht kalkuliert hat oder die bei Vertragsschluss nicht vorgesehen waren.
Aber auf der anderen Seite ist es natürlich so: Man hätte auch von vornherein Verträge machen können, die eine laufende Beteiligung prozentual oder wie auch immer formuliert vorsehen für die kreativ Beteiligten. Das ist der Goldstandard in dem Bereich. Das sehen wir auch bei den Buchverlagen. Da kriegt jeder Autor X Prozent vom Ladenverkaufspreis seines Buches als laufende Beteiligung an seinem Werk. Das kann man hier grundsätzlich auch machen. Das sieht die Regelsammlung Bühne, die wir hier zugrunde gelegt haben, auch genauso vor. Deswegen kam es zu dieser Entscheidung.
Wann glauben Sie ist der Fall Brussig gegen Stage Entertainment endgültig entschieden?
Verweyen: Das ist eine sehr gute Frage. Wir hoffen natürlich, dass es in der nächsten Instanz schneller geht. Wir warten bereits zehn Jahre auf dieses Urteil in der ersten Instanz. Die Hoffnung ist, es geht schneller vorm Oberlandesgericht. Es gibt viele Faktoren, die wir nicht beeinflussen können. Das ist Prozesstaktik der Gegenseite. Das ist Arbeitslast beim Oberlandesgericht. Wir können nur tun, was wir tun können und hoffen, dass es schnell geht. Eine normale Berufung kann zwischen ein und drei Jahren dauern, kann aber auch länger dauern. Hier ist es sicherlich ein nicht ganz einfacher Fall, und es geht um etwas. Also ist zu befürchten, dass es noch ein Moment länger dauert.
Das Interview führte Philipp Schmid.