Till Reiners: Einer, der so lange nett ist, bis es weh tut
"Für jeden Witz, den man über andere macht, muss man auch einen über sich machen", findet der Comedian Till Reiners. Und so kokettiert er mit den Stolperfallen des normalen Lebens und dokumentiert mit großer Lust das gemeinsame Stürzen. Ein Porträt.
Keine Spur von Till Reiners. Unser Interview droht zu platzen. Deutschlands Comedy-Workaholic Nummer 1 wurde von der Deutschen Bahn im Stich gelassen. Dann kommt er, gerade noch rechtzeitig. "Das war echt die Hölle, wir haben zwei Züge verpasst", sagt Reiners beim Reinkommen. Kann er das Chaos als Inspiration nutzen? "Weder ist das Material, noch, dass ich da irgendwas spüre", so der Comedian. "Das ist einfach der Regelfall. Ich würde jetzt eher Witze machen über pünktliche Züge. Das hat das größere Überraschungspotenzial."
Till Reiners: Zyniker getarnt im Schafspelz des perfekten Schwiegersohns
Reiners improvisiert gerne, kokettiert mit den Stolperfallen des normalen Lebens und dokumentiert mit großer Lust das gemeinsame Stürzen. Er ist kein moralisierender Haudrauf, eher ein Zyniker getarnt im Schafspelz des perfekten Schwiegersohns. Einer, der so lange nett ist, bis es weh tut. Er sagt jedoch auch: "Für jeden Witz, den man über andere macht, muss man auch einen über sich machen. Es muss schon eine Mischung sein, so dass die Leute denken: Okay, wenn du austeilt, musst du aber auch selber einstecken können. Wenn ich Leute sehe, die nur über andere herziehen, denke ich oft: Du bist jetzt hier der Heilige, oder was? Gäbe es da auch noch so ein, zwei Punkte, die vielleicht nicht ganz perfekt sind an dir?" Reiners will ehrlich sein über seine Schwächen - und findet, dass Stand-up-Comedy einen Bereich in der Gesellschaft schaffen kann, in dem über das gemeinsame Scheitern gelacht werden kann.
Reiners hat sich seine Karriere hart erkämpft. Erste Erfolge hatte der Ex-Politikstudent, schlagfertig und links, im Poetry Slam. Dann machte er Kleinkunst, Radio und Podcasts - bis ihn das ZDF entdeckt. Er spielt Rollen in der heute show, vertritt einmal auch Moderator Oliver Welke.
Ein bisschen dumm, ein bisschen klug
Vergangenes Jahr bekam er den bayerischen Kabarettpreis. Der Millennial Reiners nutzte die Gelegenheit, um ein paar grundsätzliche Genrefragen zu klären, als er zwischen zwei Mikros stehend erklärte: "In dieses Mikro spreche ich nur Kabarett rein - und in das nur Comedy." Im Interview erzählt Reiners, dass er den Begriff Comedian rehabilitieren wolle. "Ich will nicht diesen komischen Kulturkampf aus den 90er-Jahren im Kopf haben: Kabarett ist für die Klugen, Comedy ist für die Dummen. Das finde ich albern. Es muss immer beides sein, dumm und klug zugleich. Ich habe manchmal das Gefühl, dass moralischer Humor eine Ausrede dafür ist, dass man nicht so gerne an den Pointen arbeitet."
Unterwegs mit neuem Programm "Mein Italien"
Sein neues Programm, "Mein Italien", ist Reiners in Reinform: ein bisschen dumm, ein bisschen klug. Moralisch? Nur über die Bande der eigenen Unzulänglichkeiten. So beichtet er von seiner Freundschaft zu einer nicht ganz unproblematischen Prominenz. Mehr darf nicht verraten werden, denn, so Reiners: "Ich finde nichts schlimmer, als einen Witz schon zu kennen. Humor funktioniert immer noch darüber, dass man die Überraschung hat. Und je mehr ich vorher preisgebe, desto weniger ist man überrascht."
In der Welt, die Reiners beschreibt, sind alle recht bequem geworden, arrangieren sich mit dem Erwachsenwerden und all den anderen Kompromissen. Damit ist er zum Chronisten einer Millennial-Generation geworden, die gerade dabei ist, uncool zu werden. Wie schön, wie wahr.