"Société Anonyme": Ein Abend im Dunkeln
Beim Theaterkollektiv Rimini Protokoll sind fast immer Laien mit dabei und das Publikum ist aktiv zum Mitmachen aufgefordert. Im Hamburger Schauspielhaus hat Stefan Kaegi jetzt ein neues Projekt herausgebracht: "Société Anonyme".
Nichts darf leuchten oder auch nur blinken: Handys müssen an der Garderobe abgegeben werden, Mäntel und Taschen sowieso. Im Malersaal ist das Licht (noch) gedämpft, ein Teppichboden ausgelegt. Rote Stühle stehen verteilt im Raum, jeweils so weit voneinander entfernt, dass auch mit ausgestrecktem Arm die Nachbarin, der Nachbar kaum greifbar ist. Wir haben alle ein LED Knicklicht um den Hals hängen, mit dem wir, sollten wir uns unwohl fühlen, ein Signal geben können. Denn jetzt wird es dunkel, richtig dunkel.
"Sie hören jetzt eine Stimme, das ist meine Stimme. Ich höre Stimmen, das sind Stimmen im Dunkeln meines Hirns, unberechenbare Stimmen."
"Société Anonyme": Schutz in der Dunkelheit
Wer diese Frau ist, woher ihre Stimme kommt - das bleibt unklar. Vielleicht sitzt sie sogar auf einem der roten Stühle? Sie ist Anwältin und leidet unter Schizophrenie. Käme das heraus, könnte sie ihren Beruf nicht mehr ausüben, sagt sie.
"Ich finde das sehr wichtig, auf diese vielen Betroffenen, es sind 800. 000 in Deutschland, aufmerksam zu machen. Ich kann trotzdem mein Gesicht nicht zeigen, weil ich nicht weiß, was mir passiert, wenn die Öffentlichkeit weiß, ich bin schizophren."
Eine Melodie gibt es, die sie beruhigt. Wir werden sie mir ihr summen, unterstützt von der Musikerin Gül Pridat, die den Abend feinfühlig begleitet. "Das ist ein völlig anderer Eindruck, als wenn man jetzt sehen würde. Das Sehen auszusetzen, finde ich einen total spannenden Gedanken", meint eine Person im Publikum.
Neun unterschiedliche Geschichten aus der Anonymität
Ein Hafenarbeiter aus Marokko erzählt: Er räumt in Hamburg die Container aus - im Winter bei schneidender Kälte, im Sommer bei glühender Hitze. Wenn er krank wird, kann er nicht zum Arzt, weil er keine Papiere hat.
"Meine einzige Chance, legal in Deutschland zu bleiben, ist heiraten. Wenn ich heirate, kann ich bei Euch auf der Bühne stehen, im Licht" .
Ein Musiker erzählt von seinen Besuchen im Darkroom, eine Frau vom Missbrauch in ihrer Kindheit, ein Steuerberater von den Schlupflöchern im System, die sich insbesondere großen Firmen bieten, ein Mann, der Mitglied von Scientology ist, von seinem Doppelleben in der Hamburger Gesellschaft. Seine Stimme ist verändert, aber sein Eau de Toilette dürfen wir riechen. Es wird im Raum versprüht.
Intensives, sinnliches Theatererlebnis
Stefan Kaegi und seinem Team ist mit "Société Anonyme" ein sehr sinnlicher, intensiver und kluger Abend gelungen. Er beleuchtet die verschiedensten Aspekte von Anonymität und bezieht ganz unverkrampft das Publikum mit ein. So fordert ein Pater uns auf, einmal auszuprobieren, wie es sich anfühlt, zu beichten.
"Es sieht Sie ja keiner."
Pause. Stille.
Am Ende, als das Licht ganz allmählich zurückkommt, sind wir, die wir zugehört, mitgesummt, eine marokkanische Süßigkeit gegessen und vielleicht sogar beichtend gekniet haben, auch eine "Société Anonyme": Menschen, die für knapp zwei Stunden eine Gemeinschaft gebildet haben, ihre Namen größtenteils nicht kennen, hier jedoch die Chance bekommen, das zu ändern. Wie, wird nicht verraten.
"Société Anonyme": Ein Abend im Dunkeln
Im Hamburger Schauspielhaus hat das Theaterkollektiv Rimini Protokoll ein neues Projekt herausgebracht: "Société Anonyme".
- Art:
- Bühne
- Datum:
- Ende:
- Ort:
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Deutsches Schauspielhaus Hamburg - MalerSaal
Kirchenallee 39
20099 Hamburg - Preis:
- ab 30 Euro
- Hinweis:
- Von: Stefan Kaegi / Rimini Protokoll
Mit: Neun anonymen Stimmen
Live-Musikerin: Gül Pridat